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Boomerang

Boomerang

Titel: Boomerang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Lewis
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und Fisch importieren muss, schossen die Preise in die Höhe. Eine meiner neuen isländischen Bekannten erzählt mir, sie sei in einen Laden gegangen, um eine Lampe zu kaufen. Der Verkäufer habe ihr gesagt, er habe die letzten beiden Lampen des gewünschten Modells gerade verkauft, und bot ihr an, sie aus Schweden nachzubestellen – zum Dreifachen des alten Preises.
    Aber eine Gesellschaft, die über Nacht bankrottgeht, sieht am nächsten Morgen noch genauso aus wie am Tag zuvor, als sie sich noch reich wähnte. Zum Beispiel die Notenbank. Man kann davon ausgehen, dass Island irgendwann den Euro einführt und die Krone ausgedient hat. Dann braucht das Land keine Notenbank mehr, die sich um die Stabilität der Währung kümmert und Zinsen festlegt. Im Gebäude der Notenbank schmort Davið Oddsson, der für Aufstieg und Fall Islands mitverantwortlich zeichnet. In den achtziger Jahren verfiel Davið dem Zauber von Milton Friedman, diesem genialen Wirtschaftswissenschaftler, der es fertigbrachte, selbst Staatsangestellte davon zu überzeugen, dass der Staat überflüssig |36| war. So begann Davið einen Kreuzzug zur Befreiung der Isländer und zur Abschaffung staatlicher Regulierungen gleich welcher Art. Als Premierminister senkte er Steuern, privatisierte Staatsbetriebe, schaffte Handelsschranken ab und privatisierte schließlich im Jahr 2002 die Banken. Nachdem er des Regierens müde war, ließ er sich zum Chef der Notenbank ernennen, auch wenn er keinerlei Ahnung vom Bankwesen hatte und eigentlich von Berufs wegen Dichter war.
    Nach dem Crash verbarrikadierte sich der Friedman-Schüler in seinem Büro in der Notenbank und lehnte jede Interview-Anfrage ab. Führende Regierungsbeamte sagten mir, dort schreibe er vermutlich Gedichte. (Im Februar 2009 wurde er von der neuen Regierung entlassen.) Von außen ist die Zentralbank von Island jedoch noch immer ein eleganter schwarzer Tempel vor dem Hintergrund der weißen Klippen. Männer in Anzügen gehen ein und aus. Jungen rodeln einen Hang neben dem Gebäude hinab – ihnen ist es egal, dass ihr Spielplatz der Ground Zero einer internationalen Finanzkatastrophe ist. Alles sieht noch genauso aus wie vor dem Crash, und doch ist alles ganz anders. Die Lunte wird immer kürzer, das Flämmchen frisst sich unaufhaltsam in Richtung der Bombe voran.
    Als Neil Armstrong seinen legendären ersten Schritt auf dem Mond tat und sich umsah, mag er sich gedacht haben: »Mensch, das sieht ja genauso aus wie Island!« Obwohl der Mond natürlich ganz anders aussieht. Aber er war schließlich als Tourist unterwegs, und als Tourist bekommt man nun mal einen verzerrten Eindruck der Dinge: Man trifft nichtrepräsentative Menschen, macht nichtrepräsentative Erfahrungen und stülpt dem Ort fantasievolle Annahmen über, die man von zu Hause mitgebracht hat. Als Island seinen Ausflug in |37| die Welt der Hochfinanz unternahm, hatte es dasselbe Problem wie Neil Armstrong. Die Isländer sind vermutlich die am stärksten inzüchtige Nation der Welt, weshalb sie dauernd von Genforschern untersucht werden. Sie hatten 1100 Jahre auf ihrer abgelegenen Insel gelebt, ohne sich mit Beschäftigungen wie Fremdfinanzierung, feindlichen Übernahmen, Derivatehandel oder auch nur Finanzbetrug abzugeben. Als sie sich im Jahr 2003 mit Goldman Sachs und Morgan Stanley an einen Tisch setzten, besaßen sie nur sehr ungefähre Vorstellungen davon, was Investmentbanker taten – und das wenige, was sie wussten, hatten sie von ihren jungen Landsleuten erfahren, die an verschiedenen amerikanischen Universitäten Wirtschaftswissenschaften studiert hatten. Was sie im Jahr 2003 mit ihrem Geld machten, sagt vermutlich genauso viel über die amerikanische Finanzbranche aus wie über die Isländer selbst. Zum Beispiel verstanden sie sofort, dass die Finanzwirtschaft keine produktive Angelegenheit ist, sondern dass es einzig und allein darum geht, untereinander Papierchen auszutauschen. Wenn sie Kredite aufnahmen, finanzierten sie damit nicht einfach Unternehmen, sondern Freunde und Verwandte, damit auch die in den Genuss von schönen Dingen kamen, ganz wie echte Investmentbanker: Apartmentwohnungen in Beverly Hills, englische Fußballmannschaften, dänische Fluggesellschaften und Medienunternehmen, norwegische Banken, indische Kraftwerke.
    Eine Lektion der Amerikaner nahmen sich die Isländer ganz besonders zu Herzen: Das Entscheidende war, mit dem gepumpten Geld so viele Anlagen wie möglich zusammenzuraffen, da die

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