Boomerang
an, das isländische Finanzwunder zu zerstören. »Ich weiß nicht, woher die |43| Isländer diese Idee nahmen«, sagt Paul Ruddock von Lansdowne Partners, einer der Beschuldigten. »Wir haben nur ein einziges Mal mit isländischen Aktien gehandelt, und das auch nur kurz. Nachdem der Vorstandsvorsitzende von Kaupthing diese haltlosen Anschuldigungen erhoben hat, haben wir rechtliche Schritte gegen ihn eingeleitet, und er hat seine Aussagen zurückgenommen.«
Eine der Ursachen der globalen Finanzkrise war, dass diejenigen, die sie kommen sahen, durch Warnungen nichts und durch Leerverkäufe sehr viel verdienen konnten. Die meisten Leute, die Island Finanzvergehen hätten vorwerfen können, hatten selbst genug Dreck am Stecken und ließen sich einfach als Spekulanten abtun. Aber im April 2006 begann ein emeritierter Wirtschaftswissenschaftler namens Bob Aliber von der University of Chicago sich für Island zu interessieren. Während eines Besuchs an der London Business School hörte er einen Vortrag über die Insel, von der er bis dahin noch nichts gehört hatte. Er erkannte die Lage sofort, recherchierte und entdeckte alle Anzeichen einer Finanzblase von historischen Ausmaßen. Aliber bezeichnet den Aufstieg Islands als »perfekte Spekulationsblase« und schreibt gerade an einem Buch zum Thema: eine aktualisierte Ausgabe von Charles Kindlebergers Klassiker
Manien, Paniken, Crashs
aus dem Jahr 1978. Noch im Jahr 2006 beschloss Aliber, Island ein eigenes Unterkapitel zu widmen, neben dem Tulpenwahn und der Südseeblase, obwohl die Blase damals noch nicht einmal geplatzt war.
Unter isländischen Wirtschaftswissenschaftlern verbreitete sich die Nachricht, dass sich ein angesehener Professor aus Chicago für ihre Insel interessierte. Im Mai 2008 wurde Aliber vom Fachbereich Wirtschaft der Universität von Island zu |44| einem Vortrag eingeladen. Vor Studierenden, Bankern und Journalisten erklärte er, das Phänomen spreche nicht für ein angeborenes Finanztalent der Isländer, sondern für eine gewaltige Spekulationsblase, doch er hielt seinen Vortrag in der technischen Sprache der Wirtschaftswissenschaftler. Als ihn in der nachfolgenden Fragerunde jemand bat, einen Blick in die Zukunft zu wagen, sprach er Klartext. »Ich gebe Ihnen neun Monate. Ihre Banken sind tot. Ihre Banker sind entweder gierig oder dumm. Ich wette, sie sitzen schon im Flieger, um ihre Anlagen loszuwerden.«
Die anwesenden Banker versuchten zu verhindern, dass die Zeitungen über die Veranstaltung berichteten. Andere regten an, Aliber solle seinen erschütternden Vortrag vor der Notenbank halten. Dazu kam es allerdings nie. »Die Notenbanker sagten, sie hätten keine Zeit für ein Gespräch«, erinnert sich einer der Professoren, die das Gespräch vermitteln wollten. »Sie arbeiteten an ihrem Bericht über die Finanzstabilität.« Als Aliber aus Island abreiste, fürchtete er, dort einen derartigen Aufruhr verursacht zu haben, dass man ihm beim nächsten Mal die Einreise verweigern würde: »Ich glaube, die haben mich nur geholt, damit ich als Außenstehender ihnen diese unangenehmen Wahrheiten sage – ein Insider hätte sich das nie erlauben können, weil er großen Ärger bekommen hätte.« Trotzdem erinnert er sich gern an seine Gastgeber. »Es sind komische Menschen«, sagt er und lacht. »Aber genau das ist ja der Punkt, oder?«
Isländer – zumindest isländische Männer – hatten ihre eigene Erklärung dafür, warum sie beim Sprung in die Welt der Hochfinanz reihenweise Weltrekorde brachen: Der Grund war die natürliche Überlegenheit der Isländer. Als kleines, vom Rest der Welt abgeschnittenes Volk hatten sie 1100 Jahre |45| gebraucht, um ihre angeborenen Talente zu erkennen und zu nutzen. Aber heute, da die Welt flach war und die Geldströme ungehindert flossen, hatten die unfairen Benachteiligungen ein Ende. Auf Auslandsreisen erklärte Präsident Ólafur Ragnar Grímsson, warum die Isländer Finanzgenies seien. »Unser Erbe und unsere Ausbildung, unsere Kultur und unser heimischer Markt haben uns wertvolle Vorteile verschafft«, posaunte er und erläuterte neun dieser Vorteile. Sein letzter Punkt war die vermeintliche Harmlosigkeit der Isländer. (»Viele sehen uns als Exzentriker, die keiner Fliege etwas zuleide tun können.«) Diese und ähnliche Ansichten hörte man immer wieder, vor allem natürlich auf Island. »An der Universität gab es Forschungsprogramme, die der Frage nachgingen, warum das isländische Geschäftsmodell
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