Boomerang
üppige Bewuchs eines Osama bin Laden, wie ihn auch assyrische Könige zur Schau trugen, oder das Vogelnest eines Karl Marx.
Die Mönche von Vatopedi stehen in dem Ruf, weit mehr |82| über den unbedarften Besucher zu wissen, als sich dieser vorstellen kann, und alles Übrige zu erahnen. Die Chefin einer großen griechischen Reederei erzählte mir beim Abendessen in Athen, sie habe unlängst im Flugzeug (in der Business Class) zufällig neben Pater Efraim gesessen, dem Abt von Vatopedi. »Das war eine Erfahrung der
ganz
besonderen Art«, berichtete sie. »Er kannte mich nicht, erriet aber alles – über meine Ehe, meine Einstellung zur Arbeit. Ich hatte das Gefühl, er wisse alles über mich.« In ihrer Kirche zweifelte ich an den Fähigkeiten der Klosterbrüder. Inmitten eines enormen landesweiten Skandals ließen sie es, ohne auch nur eine Frage zu stellen, zu, dass ein Schreiberling – selbst wenn sich dieser nicht offiziell als solcher zu erkennen gegeben hatte – anreiste, sein Lager aufschlug und in ihrem Kloster herumschnüffelte.
Doch kaum habe ich das Gotteshaus verlassen, da werde ich schon aufgegriffen. Ein rundlicher Mönch mit grau gesprenkeltem Bart und der Hautfarbe einer dunklen Olive nimmt mich in die Zange. Er stellt sich mir als Pater Arsenios vor.
***
In den 1980er und 1990er Jahren zahlten die Griechen für ihre Anleihen die meiste Zeit über ganze 10 Prozent mehr Zinsen als die Deutschen, weil die Wahrscheinlichkeit einer Rückzahlung als deutlich geringer erachtet wurde. Verbraucherkredite gab es nicht in Griechenland. Die Griechen hatten keine Kreditkarten und in aller Regel auch keine Hypotheken. Selbstverständlich wollte Griechenland von den Finanzmärkten gern als ordentlich funktionierendes nordeuropäisches Land behandelt werden. Ende der 1990er Jahre sahen die Griechen dann ihre Chance gekommen: Sie konnten sich ihrer Währung entledigen und den Euro einführen. Doch zu diesem |83| Zweck mussten sie bestimmte nationale Ziele einhalten, um zu beweisen, dass sie anständige europäische Bürger sein konnten – und am Ende nicht Schulden anhäuften, auf denen andere Länder der Eurozone sitzen bleiben würden. Insbesondere mussten sie nachweisen, dass ihr Haushaltsdefizit 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts nicht überstieg und die Inflation ungefähr so hoch war wie in Deutschland. Im Jahr 2000 schafften das die Griechen – allerdings nicht ohne jede Menge statistischer Manipulationen. Um das Haushaltsdefizit zu drücken, nahm die griechische Regierung einfach alle möglichen Ausgaben (für Renten oder die Rüstung) aus den Büchern heraus. Um die Inflation zu senken, fror sie zum Beispiel die Preise für Strom, Wasser und andere vom Staat bereitgestellte Güter ein und reduzierte die Steuern auf Benzin, Alkohol und Tabak. Die Statistiker der griechischen Regierung strichen beispielsweise am Tag der Inflationsmessung (hochpreisige) Tomaten aus dem Verbraucherpreisindex heraus. »Wir haben den Kerl aufgesucht, der diese Zahlen ermittelt hat«, erzählte mir ein ehemaliger Wall-Street-Analyst, der für europäische Volkswirtschaften zuständig war. »Wir kamen aus dem Lachen gar nicht mehr heraus. Er erklärte uns, wie er Zitronen heraus- und Orangen hineingerechnet hatte. Der Index war von vorn bis hinten getürkt.«
Will heißen: Schon damals fiel manchem Beobachter auf, dass die griechischen Zahlen nicht zu stimmen schienen. Miranda Xafa, ehemalige IWF-Mitarbeiterin, spätere Wirtschaftsberaterin des vormaligen griechischen Premierministers Konstantinos Mitsotakis und noch spätere Analystin bei Salomon Brothers, erklärte 1998, dass sämtliche griechischen Haushaltsdefizite der vorangegangenen 15 Jahre zusammengerechnet nur die Hälfte der griechischen Schulden ergaben. |84| Das bedeutete, dass die Summe, die die griechische Regierung aufgenommen hatte, um ihr Tagesgeschäft zu finanzieren, doppelt so hoch war wie die ausgewiesenen Fehlbeträge. »Bei Salomon hieß [der Leiter des griechischen Statistikamts] nur ›der Zauberer‹«, erzählt Xafa, »weil er Inflation, Defizit und Schulden auf magische Weise verschwinden lassen konnte.«
2001 trat Griechenland in die Europäische Währungsunion ein, tauschte die Drachme gegen den Euro und erhielt damit implizit eine europäische (sprich: deutsche) Garantie für seine Schulden. Nun konnten die Griechen langfristig Mittel zu ungefähr den gleichen Konditionen aufnehmen wie die Deutschen – nicht zu 18, sondern zu 5 Prozent.
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