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Boomerang

Boomerang

Titel: Boomerang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Lewis
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Finanzsystem ganz von der Frage beherrscht, ob die Griechen zahlungsunfähig werden. Zuweilen sieht es ganz so aus, als wäre das die einzig wichtige Frage, denn wenn Griechenland seine 280 Milliarden Euro |87| Schulden nicht zahlt, dann wird das die europäischen Banken zu Fall bringen, die dem Land das Geld geliehen haben. Andere Länder, die ebenfalls vor dem Konkurs stehen (Spanien, Portugal), könnten schnell mitgerissen werden. Dabei ist die Frage eigentlich nicht, ob Griechenland seine Schulden zurückzahlt, sondern ob Griechenland einen Kulturwandel vollzieht – und das geht nur, wenn die Griechen das wollen. Ich höre immer wieder, den Griechen gehe es um »Gerechtigkeit«. Was das griechische Blut zur Wallung bringt, ist das Gefühl, unfair behandelt zu werden. Das geht vielen so, doch der interessante Aspekt daran ist, was so ein Grieche als ungerecht empfindet. Die Käuflichkeit im politischen System des eigenen Landes ganz offensichtlich nicht. Und Steuerbetrug oder Schmiergeldannahme im Staatsdienst ebenfalls nicht. Was die Griechen auf die Palme bringt, ist, wenn ein Dritter – ein Fremder, der andere Motive verfolgt als konkreten und nachvollziehbaren Eigennutz – hergeht und die Korruption ihres Systems ausnutzt. Und genau das taten die Mönche.
    Unter den ersten Amtshandlungen des neuen Finanzministers war das Einreichen einer Klage gegen das Kloster Vatopedi auf Rückgabe von Staatseigentum
und
Schadenersatz. Zu den ersten Beschlüssen des neuen Parlaments gehörte die Einleitung einer zweiten Untersuchung des Falls Vatopedi, um doch noch zu ermitteln, wie genau die Mönche dieses lukrative Geschäft zuwege gebracht hatten. Der Staatsvertreter, der über die Klinge springen musste – ihm wurde der Pass abgenommen und er befindet sich nur gegen Zahlung einer Kaution von 400   000 Euro noch auf freiem Fuß –, heißt Giannis Angelou, ein Mitarbeiter des ehemaligen Premierministers. Ihm wird vorgeworfen, den Mönchen zur Hand gegangen zu sein.
    In einer Gesellschaft, die eine Art totalen Moralverfall erlebt |88| hat, waren die Mönche irgendwie zur einzigen für alle akzeptablen Zielscheibe moralischer Entrüstung geworden. Jeder vernünftige griechische Bürger ist immer noch sauer auf sie und ihre Helfershelfer – obwohl keiner genau weiß, was sie eigentlich getan haben. Oder warum.
    ***
    Pater Arsenios ist vermutlich Ende 50. Aber wer weiß – schließlich sehen die Klosterbrüder mit ihren Bärten alle 20 Jahre älter aus. Für einen Mönch hat er ziemliche Berühmtheit erlangt. In Athen kennt ihn jedes Kind. Er ist der Insider, die graue Eminenz, der Finanzchef, das Gehirn des Ganzen. »Würde man Arsenios mit der Verwaltung des Immobilienbestands der griechischen Regierung betrauen«, vertraute mir ein namhafter griechischer Immobilienmakler an, »dann hätten wir Zustände wie in Dubai. Vor der Krise, wohlgemerkt.« Wenn man den Mönchen wohlgesinnt ist, kann man Pater Arsenios als die rechte Hand betrachten, die die wundersame Amtsführung von Abt Efraim erst möglich macht. Boshaft (und mit dem Fall Enron im Hinterkopf) könnte man ihn aber auch als Jeff Skilling bezeichnen – und Efraim dann als Kenneth Lay.
    Ich erzähle ihm, wer ich bin und woran ich arbeite – und auch, dass ich die letzten Tage damit zugebracht habe, in Athen Politiker zu interviewen. Er lächelt. Er freut sich tatsächlich, dass ich hier bin! »Früher sind die Politiker alle zu uns gekommen«, erzählt er. »Doch wegen des Skandals ist das jetzt vorbei. Sie trauen sich nicht, sich bei uns sehen zu lassen.«
    Er begleitet mich in den Speisesaal und bringt mich an dem Tisch unter, der offenbar der Ehrenplatz für Pilger ist – gleich |89| neben den hochrangigen Mönchen. Pater Efraim sitzt am Kopfende, Arsenios in Rufweite.
    Was die Mönche essen, ziehen sie größtenteils selbst, nur wenige Gehminuten vom Speisesaal entfernt. In schmucklosen Silberschüsseln werden rohe, ganze Zwiebeln, grüne Bohnen, Gurken, Tomaten und Rote Bete aufgetragen. Eine andere Schüssel enthält Brot, das die Mönche aus selbst angebautem Weizen backen. Außerdem gibt es noch einen Krug Wasser und zum Nachtisch eine eher flüssige orangefarbene sorbetartige Masse und dunkle Honigwaben, frisch aus dem Bienenstock. Das ist alles. In einem Restaurant in Berkeley würden sich die Gäste selbstgerecht in dem Gefühl baden, lokale Produkte zu verzehren. Hier wirkt die Verpflegung schlicht einfach. Die Mönche essen wie Models vor einem

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