Boomerang
Fotoshooting: an vier Tagen in der Woche zwei Mahlzeiten täglich, an drei Tagen nur eine – insgesamt also elfmal, und jedes Mal mehr oder minder dasselbe. Stellt sich unwillkürlich die Frage, wieso dann manche so dick sind. Die meisten – vielleicht 100 von den derzeit hier lebenden 110 – entsprechen optisch ihrer Ernährung. Sie sind mehr als dünn – richtige Schmalhänse. Doch einige wenige, darunter zwei der Höherrangigen, weisen eine Leibesfülle auf, die sich nicht durch elf Portionen rohe Zwiebeln und Gurken erklären lässt, ganz gleich, wie viele Honigwaben sie noch zusätzlich kauen.
Nach dem Essen gehen die Mönche wieder in die Kirche, wo sie bis ein Uhr morgens weiter singen, deklamieren, sich bekreuzigen und Weihrauch verbrennen. Arsenios zieht mich zur Seite und nimmt mich mit auf einen Spaziergang. Wir passieren byzantinische Kapellen, erklimmen byzantinische Treppen und erreichen schließlich die Tür eines lang gestreckten byzantinischen Saals – frisch gestrichen, doch ansonsten antik: |90| sein Büro. Auf dem Schreibtisch stehen zwei Computer, dahinter ein nagelneues Faxgerät mit Drucker. Darauf liegen ein Handy und eine Großpackung Vitamin-C-Tabletten. Wände und Fußboden glänzen wie neu. In den Aktenschränken stehen reihenweise Ordner. Es ist ein typisches Büro um 2010 – bis auf die eine Ikone über dem Schreibtisch. Verglichen mit dem Büro des griechischen Finanzministers würde man hier keinen Mönch vermuten.
»Die Menschen dürsten heute mehr nach Spirituellem«, erklärt er, als ich ihn frage, warum sein Kloster so viele bedeutende Manager und Politiker angezogen hat. »Noch vor 20 oder 30 Jahren wurde uns beigebracht, dass die Wissenschaft alle Probleme lösen wird. Es gibt so viel Materielles, doch das erfüllt die Menschen nicht. Sie haben die weltlichen Annehmlichkeiten und Besitztümer über. Und sie erkennen, dass ihnen diese kein echtes Erfolgserlebnis vermitteln.« Sprach’s und griff zum Handy, um Getränke und Nachtisch zu bestellen. Kurz darauf wird ein Silbertablett mit Gebäck und Gläsern hereingetragen, die allem Anschein nach Crème de Menthe enthalten.
So begann unser Gespräch, das drei Stunden dauern sollte. Ich stellte einfache Fragen: Warum jemand ausgerechnet Mönch wird? Wie man ohne Frauen zurechtkommt? Wie Leute, die zehn Stunden am Tag in der Kirche sitzen, noch die Zeit finden, Immobilienimperien aufzubauen? Woher sie diesen Pfefferminzlikör beziehen? Er antwortete in zwanzigminütigen Gleichnissen, in denen sich irgendwo eine einfache Antwort verbarg. (Ein Beispiel: »Ich glaube, dass es eine Menge Dinge gibt, die viel schöner sind als Sex.«) Beim Erzählen gestikulierte er, sprang auf, lächelte und lachte. Falls Pater Arsenios aus irgendeinem Grund ein schlechtes Gewissen |91| hatte, dann überspielte er das meisterhaft. Wie so viele, die nach Vatopedi kommen, besaß wohl auch ich nur eine sehr vage Vorstellung von dem, was ich suchte. Ich wollte sehen, ob das Kloster auf mich wie die Fassade eines mächtigen Wirtschaftsunternehmens wirkte (tat es nicht) und ob die Mönche unglaubwürdig erschienen (wohl kaum). Ich fragte mich aber auch, wie ein paar Männer in komischer Aufmachung, die der materiellen Welt entsagt hatten, sich in dieser so clever durchzusetzen verstanden: Wie in aller Welt konnten ausgerechnet Mönche zu Griechenlands aussichtsreichsten Kandidaten für eine Fallstudie der Harvard Business School werden?
Erst nach etwa zwei Stunden bringe ich den Mut auf, Arsenios das zu fragen. Zu meiner Überraschung geht er darauf ein. Er zeigt auf ein Schild, das er an einem seiner Aktenschränke angebracht hat, und übersetzt mir die Aufschrift aus dem Griechischen: Der Kluge findet sich ab. Der Dumme beharrt.
Bekommen habe er es auf einer seiner Geschäftsreisen ins Tourismusministerium, sagt er. »Es ist das Erfolgsgeheimnis schlechthin – nicht nur für ein Kloster«, meint er und serviert mir dann mehr oder minder wörtlich die Grundregel des Improvisationstheaters und eigentlich jeder erfolgreichen Zusammenarbeit: Nimm, was man dir gibt, und mach was draus. Sag »ja … und« statt »nein … aber«. »Der Dumme wird durch seinen Stolz behindert«, erklärt er. »Es muss immer alles nach
seinem
Kopf gehen. Das Gleiche gilt für alle, die täuschen oder betrügen: Sie versuchen stets, sich zu rechtfertigen. Ein Mensch, der spirituell erleuchtet ist, ist demütig. Er akzeptiert, was ihm andere vorsetzen – Kritik,
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