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Boomerang

Boomerang

Titel: Boomerang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Lewis
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schämen, wenn er sich so etwas entgehen ließe.
    An vielen Orten in der Welt kommt man ohne Beherrschung der griechischen Sprache zurecht. Athen gehört dazu. Die Fähre zum Berg Athos nicht. Meine Rettung ist ein junger Mann, der Englisch spricht und für mein laienhaftes Auge aussieht wie jeder andere Mönch auch: lange, dunkle Kutte, langer, struppiger schwarzer Bart und ein abweisendes Gebaren, das sich verflüchtigt, sobald das Eis gebrochen ist. Er sieht, wie ich auf einer Karte, die mit bloß groben Skizzen der Klöster versehen ist, verzweifelt herauszufinden versuche, wo ich die Fähre verlassen muss, und stellt sich mir vor. Sein Name ist Cesar. Er stammt aus Rumänien und ist der Sohn eines auf Spionageabwehr spezialisierten Geheimpolizisten des Schreckensregimes von Nicolae Ceauçescu. Dass er sich unter diesen Umständen seinen Sinn für Humor bewahrt hat, grenzt an ein Wunder. Cesar erklärt mir, ich hätte ja wohl gar keine Ahnung, denn sonst wüsste ich, dass er kein Mönch sei, sondern nur einer von vielen rumänischen Priestern, die hier Urlaub machten. Er sei von Bukarest angereist (mit zwei riesigen Rollkoffern), um seine Sommerferien in einem der Klöster zu verbringen. Drei Monate bei Wasser und Brot ohne weibliches Wesen in der Nähe – das war seine Vorstellung von Urlaub. |80| Die Welt abseits des Bergs Athos hatte ihm nicht genug zu bieten.
    Cesar zeichnet mir auf, wie ich nach Vatopedi komme, und erklärt mir, was Sache ist. Allein der Umstand, dass ich keinen Bart trage, stelle mich als einen nicht übermäßig heiligen Mann bloß, befindet er – soweit das nicht schon mein violettes Brooks-Brothers-Hemd getan habe. »Aber man ist dort an Besucher gewöhnt«, fährt er fort. »Das sollte also kein Problem sein.« Dann geht er kurz in sich und fragt: »Welche Religion haben Sie eigentlich?«
    »Keine.«
    »Aber an Gott glauben Sie doch?«
    »Nein.«
    Das gibt ihm zu denken.
    »Tja, dann glaube ich nicht, dass man Sie einlassen kann.«
    Er wartet, bis das bei mir angekommen ist. »Andererseits – wie viel schlimmer könnte es für Sie noch kommen?«, legt er schmunzelnd nach.
    Als ich eine Stunde später mit nichts als der Plastiktüte aus dem Eagles Palace und Cesars kleiner Karte in der Hand die Fähre verlasse, wiederholt er seine Pointe noch immer und lacht mit jedem Mal lauter. »Wie viel schlimmer könnte es für Sie noch kommen?«
    Der Mönch, der mich an der Pforte von Vatopedi in Empfang nimmt, schielt auf den Wäschesack und reicht mir ein Formular, das ich ausfüllen soll. Eine Stunde später, in der ich nach Kräften versucht habe, so zu tun, als würde ich mich in meiner überraschend komfortablen Zelle häuslich einrichten, werde ich von einem Strom bärtiger Mönche durch die Kirchentür geschoben. Aus Angst, des Klosters verwiesen zu werden, noch bevor ich mir einen Eindruck von diesem Ort verschafft |81| habe, verhalte ich mich möglichst angepasst. Ich folge den Mönchen in ihre Kirche. Ich zünde Kerzen an und stecke sie in einen kleinen Sandkasten. Ich bekreuzige mich in einer Tour. Ich hauche Luftküsse auf Ikonen. Dabei nimmt ganz offensichtlich keiner Notiz von dem eindeutig ungriechischen Kerl im violetten Brooks-Brothers-Hemd. Keiner bis auf einen beleibten jungen Mönch, der mich an Jack Black erinnert und mich anstiert, als würde ich eine schwere Verfehlung begehen.
    Davon abgesehen war es eine sensationelle Erfahrung, die ich jedem empfehle, der immer schon gern gewusst hätte, wie man im 10. Jahrhundert gelebt hat. Unter gigantischen, auf Hochglanz polierten goldenen Kronleuchtern, umgeben von frisch gewienerten Ikonen sangen die Mönche, psalmodierten, verschwanden hinter Abschirmungen, um dort eigentümliche beschwörende Gesänge anzustimmen, schüttelten Instrumente, die sich anhörten wie Schlittenglöckchen, schwirrten umher und schwenkten Fässchen, die Qualm und den altertümlichen Geruch von Weihrauch absonderten. Jedes Wort, das gesprochen, gesungen oder intoniert wurde, war biblisches Griechisch (es ging wohl um Jesus Christus), doch ich nickte brav dazu. Ich stand auf, wenn sie aufstanden, und setzte mich, wenn sie sich setzten: ein stundenlanges Auf und Ab wie bei einem Jo-Jo. Die Wirkung des Spektakels wurde noch gesteigert durch die imposanten ungebändigten Bärte der Mönche. Selbst wenn man es ganz der Natur überlässt, wächst nicht jeder Bart gleich. Es gibt ganz unterschiedliche Varianten: hoffnungslos schütterer dünner Flaum, der

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