Boomerang
Theoretisch hing ihr Verbleib in der Eurozone davon ab, dass die Haushaltsdefizite unter 3 Prozent des BIP blieben. In der Praxis mussten sie aber nur die Bücher frisieren, um zu zeigen, dass die Ziele eingehalten wurden. Da trat 2001 Goldman Sachs auf den Plan und beteiligte sich an einer Reihe scheinbar legaler, doch nichtsdestoweniger verwerflicher Transaktionen zur Verschleierung der wahren Höhe der griechischen Verschuldung. Für diese Geschäfte soll Goldman Sachs – das Griechenland effektiv einen 700-Millionen-Euro Kredit verschaffte – über 200 Millionen Euro Honorar kassiert haben. Das System, das es Griechenland ermöglichte, nach Gutdünken Geld aufzunehmen und auszugeben, war ein ganz ähnliches wie das, das zum Recycling der Kredite fragwürdiger amerikanischer Schuldner auf die Beine gestellt worden war. Und die amerikanischen Investmentbanker spielten dabei dieselbe Rolle. Sie zeigten der griechischen Regierung außerdem, wie sie künftige Zuweisungen aus nationaler Lotterie, Autobahnmaut, Landegebühren an Flughäfen und dem Haushalt der Europäischen Union verbriefen konnte. Jeder irgend |85| ermittelbare künftige Zahlungsstrom wurde schon vorab in klingende Münze verwandelt und ausgegeben. Jeder halbwegs vernunftbegabte Mensch musste gewusst haben, dass die Griechen ihre wahre Finanzlage nur so lange geheim halten konnten, wie a) die Kreditgeber davon ausgingen, dass ein Darlehen an Griechenland praktisch von der Europäischen Union (also Deutschland) garantiert wurde, und b) niemand außerhalb Griechenlands genauer hinschaute. In Griechenland selbst gab es keine Nestbeschmutzer, denn im Grunde hingen alle mit drin.
Das änderte sich am 4. Oktober 2009 mit dem Regierungswechsel. Die Regierung von Premierminister Kostas Karamanlis stolperte über einen Skandal und musste zurücktreten. Das hatte man durchaus erwarten können. Überraschend war aber die Art des Skandals. Ende 2008 wurde bekannt, dass Vatopedi irgendwie in den Besitz eines eher wertlosen Sees gelangt war und diesen dann gegen deutlich wertvolleres Regierungsland getauscht hatte. Wie die Klosterbrüder dieses Kunststück vollbracht hatten, blieb unklar. Man ging davon aus, dass sie einem Staatsbeamten eine höhere Bestechungssumme zukommen ließen. Beweisen ließ sich das aber nicht. Dessen ungeachtet war die Politik im Jahr danach durch den anschließenden Aufruhr geprägt. Der Skandal um Vatopedi erschütterte die griechische Öffentlichkeit wie nie zuvor. »Einen solchen Stimmungsumschwung bei den Umfragen wie nach dieser Enthüllung haben wir noch nie erlebt«, erzählte mir der Herausgeber einer der führenden griechischen Zeitungen. »Ohne Vatopedi wäre Karamanlis noch Premierminister und alles würde weiterlaufen wie zuvor.« Dimitris Kontominas, milliardenschwerer Gründer einer griechischen Lebensversicherungsgesellschaft und zufällig auch Eigentümer des |86| Fernsehsenders, der den Vatopedi-Skandal aufdeckte, formulierte es etwas drastischer: »Die Mönche von Vatopedi haben Giorgos Papandreou an die Macht gebracht.«
Nachdem die alte Partei (die vorgeblich konservative Neue Demokratie) von der neuen (der vorgeblich sozialistischen Pasok) abgelöst worden war, stellte Letztere fest, dass in der Staatskasse so viel weniger Geld war als erwartet, dass ihr gar nichts anderes übrig blieb, als reinen Tisch zu machen. Der Premierminister verkündete, Griechenlands Haushaltsdefizite seien viel zu niedrig ausgewiesen worden und dass es eine Weile dauern würde, bis die korrekten Zahlen ermittelt seien. Pensionskassen, globale Rentenfonds und andere Käufer griechischer Anleihen, die miterlebt hatten, wie große amerikanische und britische Banken zusammengebrochen waren, und wussten, wie heikel die Position etlicher europäischer Banken war, gerieten in Panik. Die neuen, höheren Zinsen, die Griechenland nun zahlen musste, trieben das Land – das auf hohe Kreditaufnahme angewiesen war, um seine laufenden Ausgaben zu finanzieren – mehr oder minder in die Zahlungsunfähigkeit. Da mischte sich der IWF ein und prüfte die griechischen Bücher genauer. Damit verpuffte auch der letzte Rest von Glaubwürdigkeit, den die Griechen vielleicht noch besessen hatten. »Wie kann es verdammt noch mal sein, dass ein Mitglied der Eurozone sagt, sein Defizit betrage 3 Prozent des BIP, wenn es in Wirklichkeit bei 15 Prozent lag?«, fragt ein hochrangiger IWF-Mitarbeiter. »Wie konnte das passieren?«
Im Moment wird das globale
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