Boomerang
den irischen Banken finanziert. Sollte der Immobilienmarkt zusammenbrechen, stünden die Banken vor enormen Verlusten. »Ich begriff allmählich, was da vorging«, berichtet Kelly. »Der durchschnittliche Wert und die Zahl der neu abgeschlossenen Hypotheken erreichten im Sommer 2006 ihren Höhepunkt. Allerdings wurden die Kreditstandards danach sichtlich gelockert.« Die Banken vergaben weiterhin immer minderwertigere Kredite, doch die Menschen, die Geld aufnahmen, um Häuser zu kaufen, wurden zunehmend misstrauisch. »Was passierte, war Folgendes«, sagt Kelly. »Eine Menge Leute bekam langsam kalte Füße.« Der unvermeidliche Stimmungsumschwung auf dem Markt würde verheerende Folgen für die irischen Banken haben – und für die Wirtschaft. Die Verluste der Banken würden diese zwingen, die Kreditvergabe auf rentable Unternehmen zu beschränken. Die Bürger des Landes, die ihren Banken Geld schuldeten, würden ihre Ausgaben reduzieren. Vor allem aber – und das war womöglich das |118| Schlimmste – würde die gesamte Bautätigkeit, mittlerweile Grundlage der ganzen Wirtschaft, zum Erliegen kommen.
Da schrieb Kelly seinen zweiten Zeitungsartikel, in dem er mehr oder weniger den Kollaps der irischen Banken prophezeite. Er verwies darauf, dass sich die Banken und die Wirtschaft in Irland im vergangenen Jahrzehnt grundlegend verändert hatten. 1997 finanzierten sich die Banken ausschließlich aus irischen Einlagen, 2005 bezogen sie ihr Kapital überwiegend aus dem Ausland. Die deutschen Kleinanleger, die irischen Banken am Ende Mittel zum Weiterverleihen innerhalb Irlands zur Verfügung gestellt hatten, konnten ihr Geld mit einem Mausklick abziehen. Seit 2000 war der auf Bauwirtschaft und Immobilien entfallende Anteil an irischen Bankkrediten von (den in Europa üblichen) 8 Prozent auf 28 Prozent gestiegen. 100 Milliarden Euro – im Grunde also der Gesamtbetrag aller irischen Bankeinlagen – waren in die Hände gewerblicher irischer Bauträger übergegangen. 2007 liehen irische Banken dieser Branche 40 Prozent mehr Geld als noch sieben Jahre zuvor der
gesamten irischen Bevölkerung.
»Nun könnte man vermuten, dass der Umstand, dass irische Banken Spekulanten 100 Milliarden Euro Spielgeld in die Hand gedrückt hatten – im sicheren Wissen, dass der Steuerzahler für die meisten Verluste geradestehen würde –, für die irische Zentralbank ein Grund zur Sorge war«, schrieb Kelly. »Doch weit gefehlt.«
***
Seinen zweiten Artikel schickte Kelly an eine Zeitung mit höherer Auflage – den
Irish Independent
. Dessen Chefredakteur schrieb zurück, er empfinde den Text als anstößig und werde ihn nicht veröffentlichen. Also wendete sich Kelly an die
Sunday Business Post
, deren Chefredakteur den Artikel zwar annahm, |119| aber sich mit der Veröffentlichung Zeit ließ. Die Journalisten hielten es mit den Bankern und verschmolzen positive Prognosen für die Immobilienpreise mit Vaterlandsliebe und Engagement für das »Team Irland«. (»Es hieß immer: ›Entweder seid ihr für oder gegen uns‹«, erzählt ein namhafter irischer Bankanalyst aus Dublin.) Am Ende ging Kelly doch wieder zur
Irish Times
, die seinen Artikel im September 2007 abdruckte.
Es folgte eine kurze und aus Kellys Sicht fruchtlose Kontroverse. Der für die Öffentlichkeitsarbeit zuständige Mitarbeiter des University College Dublin rief den Chef der Wirtschaftsfakultät an und bat ihn, jemanden aufzutreiben, der eine akademische Gegendarstellung zu Kellys Artikel verfassen würde. (Der Fakultätsleiter lehnte ab.) Dann wurde er per Telefon attackiert von Matt Moran, einem leitenden Mitarbeiter der Anglo Irish Bank. »Er sagte immer wieder: ›Die Bauträger, die bei uns Darlehen aufnehmen, sind so unglaublich reich – die wollen uns nur einen Gefallen tun, wenn sie sich bei uns Geld leihen.‹ Er wollte mit mir streiten, aber am Ende aßen wir gemeinsam zu Mittag. Wir sind schließlich Iren.« Außerdem trudelten bei Kelly jede Menge besorgt klingender Mitteilungen von Finanzleuten aus London ein, aber die ließen ihn kalt. »Ich habe den Eindruck, dass es auf den Finanzmärkten ein Grüppchen von Analysten gibt, die nichts anderes tun, als sich den ganzen Tag lang gegenseitig Schreckensbotschaften zu schicken.« Wie sehr sein kleiner Artikel die Denkweise maßgeblicher Akteure beeinflusste, sollte Kelly nie erfahren.
Erst fast ein Jahr später, am 29. September 2008, fand sich Morgan Kelly zu seiner Verblüffung als Gegenstand des
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