Boomerang
Finanzministerin zu werden – sozusagen als zufällige Erbin einer heillosen Misere. Unten im Plenarsaal blieben die meisten Sitze leer, doch ein paar Politiker, darunter auch Burton, diskutierten über das Thema, das seit zwei Jahren ununterbrochen auf der Tagesordnung stand: die Finanzkrise des Landes.
Als Erstes fällt dem Beobachter einer irischen Parlamentsdebatte auf, dass die Teilnehmer alles zweimal sagen – einmal auf Englisch, einmal auf Gälisch. Da es in Irland niemanden gibt, der kein Englisch spricht, und die große Mehrheit nicht Gälisch kann, wirkt das wie eine gezwungene Geste, die viel Zeit kostet. Auf meine Frage, ob sie Gälisch sprechen, antworten mir mehrere irische Politiker mit unbehaglicher Miene nervös: »Es reicht, um durchzukommen.« Die irischen Politiker sprechen ungefähr so gut Gälisch wie der Hausfrauenverband |123| Ostwestfalen-Lippe Französisch. Doch die Frage »Wieso machen sie sich dann überhaupt die Mühe?« geht natürlich am Thema vorbei. Auf Schritt und Tritt wird alles Englische nachgeahmt und gleichzeitig – mitunter verzweifelt – nach Unterscheidung gestrebt. Das Beharren der Iren auf ihrer »Irishness« – ihre Einbildung, sie seien stärker heimatverbunden als andere Nationen – zieht sich durch alle Bevölkerungsschichten und hat durchweg einen prahlerischen Anstrich. Ganz oben stehen ein paar sehr reiche Iren, die patriotisch daherreden, aber ihren offiziellen Wohnsitz im Ausland haben, damit sie in Irland keine Steuern zahlen müssen. Das untere Ende bilden die typischen Emigrationswellen der irischen Geschichte. Die Iren und ihr Land sind wie ein Liebespaar, dessen Leidenschaft angefacht wird durch den Verdacht, dass am Ende die Trennung stehen könnte. Und diese Zweifel übertönt man doch lieber mit einer wortgewaltigen Vaterlandsliebe.
***
An diesem Tag steht für das Dáil (»Doil« gesprochen), wie die Iren ihr Parlament nennen, neben Verlautbarungen zum Haushalt noch ein Punkt auf dem Programm, der an sich kontrovers sein müsste: die Abstimmung darüber, ob Wahlen anberaumt werden sollen, um die vier vakanten Sitze zu besetzen. Die regierende Partei Fianna Fáil hält eine knappe Mehrheit von zwei Sitzen und erzielt in Umfragen ein Ergebnis von 15 Prozent, weil sie gemeinhin als Verursacherin der Finanzkatastrophe gilt. Würden unmittelbar Wahlen abgehalten, müsste sie abtreten. Das ist allerdings eine ausgesprochen radikale Vorstellung, da diese Partei Irland praktisch seit seiner Gründung als unabhängiger Staat im Jahr 1922 mehr oder minder durchgehend regiert hat. Doch sie kann der Forderung nach |124| Vergabe der freien Sitze erfolgreich trotzen, bis sie im Februar 2011 abgewählt wird.
Eine Glocke ruft zur Abstimmung und die irischen Abgeordneten strömen herein. Ein paar Minuten vor der Stimmabgabe schließt sich die Tür zur Kammer und es postieren sich Wachen davor. Wer zu spät kommt, darf seine Stimme nicht mehr abgeben. Der Saal ist durch eine Glaswand von der Besuchergalerie getrennt. Ich frage meine ortskundige Begleitung danach. »Sie soll nicht verhindern, dass die Menschen ihre Regierung mit Gegenständen bewerfen«, meint sie und erklärt mir ihre wahre Bewandtnis. Vor ein paar Jahren kam ein irischer Abgeordneter zu spät. Die Türen waren bereits geschlossen. Da rannte er auf die Besuchergalerie, sprang von dort drei Meter auf die Pressegalerie hinunter und hangelte sich über die Absperrung zum Saal. Seine Stimme wurde angenommen, doch danach errichtete man die Glasabtrennung. Man missbilligte das Schlupfloch, belohnte aber denjenigen, der es clever für sich zu nutzen verstand. Das, so meint sie, sei typisch irisch.
Der Erste, der seinen Platz einnimmt, ist Bertie Ahern, von Juni 1997 bis Mai 2008 Premierminister und wichtigster politischer Akteur. Ahern ist für zweierlei bekannt: für seine Bauernschläue ebenso wie für gern zitierte abgrundtief dämliche Aussprüche. Tony Blair schrieb ihm für seine geschickte Vermittlung bei den Friedensverhandlungen in Nordirland geniale Qualitäten zu. Doch zur Erklärung der Finanzkrise sagte er tatsächlich: »Lehman’s war eine globale Investmentbank. Sie hatte ihre Testikel überall.« Während der letzten Tage seiner Amtszeit beteuerte Ahern krampfhaft, er habe keine Schmiergelder von Bauträgern angenommen – zum Teil deshalb, weil sich so viele seiner Amtshandlungen offenbar nur |125| damit erklären ließen, dass er dafür Geld von der Immobilienbranche erhalten hatte.
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