Boomerang
dem Haufen Geld geführt wurden und vor der Frage standen, was sie denn nun damit anfangen sollten –, befanden sich die Iren bereits in einer extrem heiklen geistigen Verfassung. Sie hatten den größten Teil des Jahrzehnts wie unter einem Zauber verbracht.
Ein paar Monate nachdem der Zauber vorbei war, stellten die Wächter der Kurzzeitparkplätze des Dubliner Flughafens fest, dass ihre Tageseinnahmen bröckelten. Dabei war der Parkplatz voll. Sie standen vor einem Rätsel. Doch dann fiel ihnen auf, dass es sich jeden Tag um die gleichen Autos handelte. Die daraufhin benachrichtigte Dubliner Polizei ermittelte, dass es sich um die Fahrzeuge polnischer Bauarbeiter handelte – gekauft mit Geld, das ihnen große irische Banken geliehen hatten. Die Gastarbeiter hatten die Autos einfach stehen lassen und waren nach Hause geflogen. Ein paar Monate später schickte die Bank of Ireland drei Inkassobeauftragte nach Polen, um zu sehen, was noch einzutreiben war, doch vergebens. Die Polen waren unauffindbar. Wären da nicht |113| ihre Autos auf dem Parkplatz, hätte man fast glauben können, es hätte sie nie gegeben.
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Morgan Kelly ist Ökonomieprofessor am University College Dublin, hielt es aber bis vor kurzem nicht für seine Aufgabe, viel über die Wirtschaft vor seiner Nase nachzudenken. Er veröffentlichte ein paar höchst angesehene akademische Abhandlungen über Themen, die sogar in Fachkreisen als abgehoben galten (»The Economic Impact of the Little Ice Age« – »Die wirtschaftlichen Auswirkungen der Kleinen Eiszeit«). »Ich stolperte rein zufällig über diese Katastrophe«, erzählt er. »Ich habe mich nie für die irische Wirtschaft interessiert. Ich fand sie klein und langweilig.« Kelly erlebte, wie die Häuserpreise explodierten und wie junge irische Finanzmanager, die kurz zuvor noch in seinen Vorlesungen gesessen hatten, erklärten, warum ihnen der Boom keine Sorgen bereite. Ihm bereitete sehr wohl Sorgen, was er da sah und hörte. »Etwa Mitte 2006 erschienen plötzlich viele meiner ehemaligen Studenten, die bei Banken arbeiteten, im Fernsehen!«, erzählt er. »Auf einmal waren sie Wirtschaftsexperten der Banken – nette junge Leute, wirklich. Und sie sagten alle das Gleiche: ›Es wird eine sanfte Landung geben.‹«
Diese Aussage kam ihm gleich absurd vor. Immobilienblasen enden nie mit einer sanften Landung. Eine Blase lebt allein von den Erwartungen der Menschen. In dem Moment, in dem die Leute nicht mehr daran glauben, dass die Häuserpreise ewig weitersteigen, merken sie, was für schlechte langfristige Geldanlagen Immobilien geworden sind, und flüchten aus dem Markt. Und dann kommt es zum Crash. Es lag also in der Natur von Immobilienbooms, mit einem Crash zu enden – und ebenso lag es wohl in der Natur von Morgan Kelly, ins |114| Grübeln zu geraten, wenn seine ehemaligen Studenten im irischen Fernsehen die Finanzexperten gaben. »Ich habe einfach angefangen zu googeln«, berichtete er.
Beim Googeln erfuhr Kelly, dass mittlerweile ein Fünftel der irischen Erwerbsbevölkerung in der Bauwirtschaft beschäftigt war. Das irische Baugewerbe war so angewachsen, dass es knapp ein Viertel des irischen BIP ausmachte. In einer »normalen« Volkswirtschaft waren es nicht einmal 10 Prozent. Und dabei wurden in Irland nur halb so viele neue Häuser gebaut wie in Großbritannien, wo mehr als 15-mal so viele Menschen Wohnraum brauchten. Er erfuhr, dass der Durchschnittspreis für ein Eigenheim in Dublin seit 1994 um über 500 Prozent gestiegen war. In manchen Stadtteilen waren die Mieten auf unter 1 Prozent des Kaufpreises gefallen. Das bedeutete, dass man ein Haus, das eine Million Euro kostete, für nicht einmal 833 Euro im Monat mieten konnte. Die Anlageerträge auf irische Grundstücke waren lächerlich gering, es erschien unsinnig, Kapital nach Irland zu lenken, um weitere zu erschließen. Die irischen Häuserpreise ließen auf eine Wirtschaftswachstumsrate schließen, mit der Irland in 25 Jahren dreimal so reich sein würde wie die Vereinigten Staaten. (»Das wäre ein höheres Kurs-Gewinn-Verhältnis als bei Google«, wie Kelly es formulierte.) Woher sollte dieses Wachstum kommen? Seit 2000 waren die irischen Exporte stagniert und die Wirtschaft hatte sich auf den Bau von Häusern, Büros und Hotels fixiert. »Wettbewerbsfähigkeit spielte keine Rolle«, meint Kelly. »Es stand einfach fest, dass wir von nun an reich werden würden, indem wir einander Häuser bauten.«
Der endlose Zustrom
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