Boomerang
ihren vollen Wert. Die irische Regierung hatte sie garantiert! Er konnte sein Glück kaum fassen.
Diese Episode wiederholte sich auf vielen Finanzmärkten. Menschen, die privat Wetten abgeschlossen und danebengelegen hatten und die gar nicht erwarteten, ihr Geld komplett zurückzubekommen, wurden ausbezahlt – mit irischem Steuergeld.
Rückblickend und in dem Wissen, dass die Verluste der irischen Banken in der Weltgeschichte beispiellos sind, erscheint die Entscheidung, für diese Verluste geradezustehen, nicht nur merkwürdig, sondern selbstmörderisch. Eine Handvoll irischer Banker hat Schulden angehäuft, die sie nie zurückzahlen konnten – in der Größenordnung von 100 Milliarden Euro. Vielleicht wussten sie nicht, was sie taten – getan haben sie es trotzdem. Diese Schulden waren Privatsache. Die Gläubiger waren Investoren aus aller Welt. Dennoch nahm es das irische Volk auf sich, sie zu tilgen, als handele es sich um staatliche Verbindlichkeiten. Zwei Jahre lang laborierten die Iren unter dieser untragbaren Last, und es gab kaum Proteststimmen. Mehr noch, sämtliche politischen Entscheidungen seit dem 29. September 2008 haben dafür gesorgt, dass die Leute noch fester am Haken hängen. Im Januar 2009 verstaatlichte die irische Regierung Anglo Irish und deren Verlust in Höhe von |141| 34 Milliarden Euro (Tendenz steigend). Ende 2009 richtete sie die National Asset Management Agency ein, das irische Pendant zum Troubled Asset Relief Program (TARP), dem 2008 aufgelegten Rettungsfonds der USA. Anders als die US-Regie rung zogen die Iren die Sache aber durch und kauften schrottige Anlagen irischer Banken für 80 Milliarden Euro.
***
Eine einzige Entscheidung besiegelte Irlands Schicksal. Doch als ich Lenihan darauf anspreche, reagiert er unwirsch, als sei das kein geeignetes Gesprächsthema. Das sei eigentlich keine Entscheidung gewesen, meint er, denn er habe ja keine Wahl gehabt. Der irische Finanzmarkt sei in Anlehnung an englisches Recht geregelt und danach genössen die Inhaber von Anleihen den gleichen Status wie herkömmliche Einleger. Es hätte also gegen das Gesetz verstoßen, kleine Leute mit Einlagen in der Bank zu schützen, ohne auch die Großinvestoren zu retten, die irische Bankanleihen hielten.
Das weckt Erinnerungen. Als US-Finanzminister Hank Paulson merkte, dass die Entscheidung, Lehman Brothers fallen zu lassen, nicht als kühn und prinzipientreu, sondern vielmehr als verheerend gewertet wurde, hatte auch er behauptet, er habe das nur getan, weil ihm das Gesetz keine andere Möglichkeit ließ. Ähnlich wie seinerzeit Paulson vergaß auch Lenihan im Eifer des Gefechts, das Gesetz zu erwähnen, das verlangte, die privaten Kreditgeber der Banken abzufinden. Das fiel den beiden erst viel später ein. In beiden Fällen war die Erklärung legalistisch: eng gefasst korrekt, doch grundsätzlich falsch. Die irische Regierung hatte es stets in der Hand, selbst den Inhabern erstrangiger Anleihen Verluste aufs Auge zu drücken, wenn sie das denn gewollt hätte. »Führende Leute |142| haben vergessen, dass die Regierung gewisse Befugnisse hat«, wie Morgan Kelly es formuliert. »Man kann Menschen zum Militärdienst verpflichten. Man kann sie in den sicheren Tod schicken.
Man kann Gesetze ändern.
«
Am 30. September 2008 rechtfertigte Lenihan die Garantie für die Bankschulden in der Hitze des Gefechts mit demselben Argument wie Merrill Lynch: um »Ansteckungseffekte« zu verhindern. Man brauchte den Finanzmärkten nur zu sagen, dass ein Kredit an eine irische Bank ein Kredit an den irischen Staat war, und schon würden sich die Investoren beruhigen. Denn wer würde die Kreditwürdigkeit des irischen Staates anzweifeln? Ein paar Monate später, als der Verdacht aufkam, dass die Bankverluste so hoch waren, dass sie den irischen Staat in den Bankrott treiben könnten, lieferte Lenihan eine neue Erklärung für das Geschenk der Regierung an private Investoren: Die Anleihen befänden sich im Besitz irischer Sparkassen. Bis dahin hatte die Regierung stets behauptet, sie wisse nicht, wer die Bankanleihen hielt. Nun sagten sie, wenn die irische Regierung die Verluste nicht übernähme, würden die irischen Sparer die Rechnung bezahlen. Anders ausgedrückt: Im Grunde retteten die Iren sich selbst. Doch das stimmte nicht. Es folgte ein empörter Aufschrei der irischen Sparkassen. Sie hielten keine solchen Anleihen und missbilligten das großzügige Geschenk der Regierung an die Anleiheinhaber. Ein
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