Boomerang
entvölkerten Wohngebieten vorbei. »Wir können unterwegs an Bauruinen anhalten«, meint Ian, als wir die Ausläufer der Stadt hinter uns lassen, »doch wenn wir bei jeder einzelnen stoppen, kommen wir nicht weit.« Wir passieren nasse grüne Felder, die von Kartoffelbauern in kleine Parzellen unterteilt wurden, und hie und da einen Weiler. Aber selbst die bewohnten Orte wirken trostlos. Aus den ländlichen Regionen Irlands wandern noch immer Menschen ab. Zu ihren Nachteilen gehört vom Standpunkt des Außenstehenden das Wetter. »Hier regnet es entweder schon oder es wird gleich regnen«, erklärt Ian. »Ich habe mal einen Schwarzen aus Afrika durchs Land gefahren. Es regnete die ganze Zeit über. Da sagte er zu mir: ›Ich verstehe nicht, wie die Menschen das aushalten. Das ist ja, als lebte man unter einem Elefanten.‹«
Die nassen Hecken, die entlang der Autobahn angelegt wurden, um die nassen Häuser gegen die nasse Straße abzuschirmen, verbergen inzwischen von der nassen Straße aus die nassen Häuser. SO SIEHT DAS DORF DER ZUKUNFT AUS ist |146| auf einem tropfenden Schild zu lesen, das ein Dorf zeigt, das niemals gebaut werden wird. Wir suchen willkürlich eine Siedlung aus, die einigermaßen fertiggestellt wirkt, und verlassen die Autobahn. Sie liegt für sich allein: ein außerhalb geplanter Vorort ohne Einbindung in das Stadtumland. GLEANN RIADA steht wichtigtuerisch auf dem Schild am Ortseingang. Dabei besteht die Siedlung nur aus ein paar Dutzend Häusern auf einem Feld, ohne Anbindung nach außen, und endet in leeren, unkrautüberwucherten Betonplatten. Man sieht genau: In dem Moment, als die irischen Banken den Geldhahn zudrehten, brach der Bauunternehmer seine Zelte ab und die polnischen Arbeiter gingen nach Hause. »Die Leute, die hier noch gearbeitet haben, glaubten selber nicht mehr an die Fertigstellung«, behauptet Ian. Die Betonplatte ist, ebenso wie die fertigen Häuser, von Rissen durchzogen, wie man sie nach größeren Erdbeben sieht; hier waren sie aber die Folge von Schlamperei. In den Häusern liegt Unrat und Schutt auf dem Boden, Armaturen wurden aus der Küche herausgerissen, Schimmel überzieht spinnwebenartig die Wände. Solche Szenen hatte ich zuletzt in New Orleans gesehen, nach dem Wirbelsturm Katrina.
Irlands Umweltministerium veröffentlichte 2009 seine erste Bestandsaufnahme der Neubauten im Land, nachdem es 2 846 Wohnbauprojekte inspiziert hatte, von denen viele Geisterstädte sind. Die Regierung erteilte Baugenehmigungen für 180 000 Wohneinheiten, von denen über 100 000 unbewohnt herumstehen. Von den bewohnten sind manche nach wie vor unfertig. Die Bautätigkeit ist praktisch vollkommen zum Erliegen gekommen. In Irland leben nicht genug Menschen, um die ganzen neuen Häuser zu füllen. Fragt man irische Bauträger, wer ihrer Ansicht nach in den ländlichen Gegenden leben |147| solle, hört man stets dasselbe verlegene Lachen und kriegt dieselbe Liste von Kandidaten vorgelegt: Polen, Ausländer auf der Suche nach einem Zweitwohnsitz, ganze Ministerien voller irischer Beamter, die im Rahmen eines umfangreichen geplanten Umsiedlungsprogramms umziehen sollten, das jedoch nie verwirklicht wurde, außerdem die in der Diaspora lebenden 70 Millionen Menschen mit Wurzeln in Irland. Das Problem, auf das während des Booms niemand so richtig aufmerksam wurde, war bloß, dass Menschen außerhalb Irlands, auch solche mit genetischen Verbindungen zu dem Land, kein Interesse am Erwerb von Häusern in Irland hatten. »Das ist kein internationaler Immobilienmarkt«, erklärt Ronan O’Driscoll, ein Vertreter der Dubliner Savills-Niederlassung. »Es gibt keine ausländischen Käufer. Und es hat zu keiner Zeit welche gegeben.« Dublin war nie London. Und das irische Hinterland wird nie mit den Naturschönheiten der Cotswolds im Herzen Englands gleichziehen.
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Welchen Weg ganze Nationen einschlugen, als ihnen grenzenlos Geld zur Verfügung stand, konnte einem viel über ihren Charakter verraten: ihre Wünsche, ihre Hemmungen, ihr heimliches Selbstbild. Gleichermaßen aufschlussreich war aber, wie sie reagierten, als der Geldstrom versiegte. In Griechenland wurde vom Staat Geld aufgenommen. Die Schulden sind die Schulden des griechischen Volkes, das jedoch nichts damit zu tun haben will. Die Griechen sind bereits gewaltbereit auf die Straße gegangen und waren schnell bei der Hand mit Sündenböcken, denen man die eigenen Probleme in die Schuhe schieben konnte: Mönche, Türken,
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