Boomerang
treffendsten und aussagekräftigsten beurteilt hatte. Sein Name: Philip Ingram. Ende 20 und ein bisschen verschroben – an der Universität Cambridge hatte er ursprünglich eine Karriere in der Zoologie angepeilt – war Ingram etwas durchaus Originelles und Nützliches gelungen: Er hatte neues Licht in die Methodik gebracht, wie irische Banken gewerbliche Immobilien beliehen.
Der Markt für gewerbliche Hypotheken ist in aller Regel nicht so transparent wie der für Eigenheimdarlehen. Die Geschäfte zwischen Banken und Bauträgern stellen einmalige Transaktionen dar und ihre Konditionen sind nur wenigen Insidern bekannt. Die Parteien eines Kreditgeschäfts behaupten stets, es sei gut durchdacht. Der Analyst einer Bank musste sie wohl oder übel beim Wort nehmen. Doch Ingram betrachtete die irischen Banken mit Misstrauen. Er hatte Morgan Kellys Zeitungsartikel gelesen und Kelly sogar in seinem Büro im University College aufgesucht. Wie Ingram es sah, bestand ein eklatanter Unterschied zwischen dem, was die irischen Banken sagten, und dem, was sie taten. Um sich Klarheit zu verschaffen, ignorierte er ihre Aussagen und suchte sich kenntnisreiche Insider des Marktes für gewerbliche Immobilien. Diese interviewte er nach Journalistenmanier. Am 13. März 2008 – sechs Monate vor dem Einsturz der irischen Immobilienpyramide |136| – veröffentlichte Ingram einen Bericht, der einfach wörtlich zitierte, was die Marktkenner ihm über die Kredite verschiedener Banken an Entwickler gewerblicher Immobilien mitgeteilt hatten. Die irischen Banken vergaben in Irland viel riskantere Kredite als in Großbritannien, doch selbst dort, so der Bericht, zählten sie zu den waghalsigsten Kreditgebern. In dieser Kategorie belegten Anglo Irish, Bank of Ireland und AIB die ersten drei Plätze – in dieser Reihenfolge.
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Ein paar Stunden lang war der Bericht von Merrill Lynch der heißeste Lesestoff auf den Londoner Finanzmärkten – bis Merrill Lynch ihn zurückzog. Merrill war federführendes Konsortialmitglied bei der Platzierung von Anglo-Irish-Anleihen und Corporate Broker von AIB. Man hatte am Wachstum des irischen Bankgeschäfts gut verdient. Kaum dass Phil Ingram seinen Bericht versendet hatte, riefen die Banken schon ihre Kundenbetreuer bei Merrill Lynch an und drohten mit dem Abbruch der Geschäftsbeziehungen. Derselbe Manager der Anglo Irish Bank, der schon Morgan Kelly am Telefon angebrüllt hatte, telefonierte jetzt mit einem Research-Analysten von Merrill, um seinem neuen Ärger Luft zu machen. (»Sie haben da meiner Meinung nach eine Scheißarbeit geleistet!«) Ingrams Vorgesetzte bei Merrill Lynch zitierten ihn zu Sitzungen mit eigenen Anwälten, die seinen Bericht umschrieben, seine pointierten Aussagen entschärften und die vernichtenden Zitate von Marktinsidern herausstrichen – und deren zahlreiche Verweise auf irische Banken gleich mit. Ingrams direkter Vorgesetzter in der Research-Abteilung, ein Mann namens Ed Allchin, musste sich persönlich bei den Investmentbankern von Merrill für den Ärger entschuldigen, den er |137| ihnen bereitet hatte. Von diesem Augenblick an wurde alles, was Ingram über irische Banken schrieb, von den Merrill-Lynch-Anwälten überarbeitet und zensiert. Ende 2008 setzte ihn Merrill vor die Tür.
Es ist schwer vorstellbar, dass die Investmentbanker bei Merrill Lynch nicht irgendwann gewusst haben sollen, dass die irischen Banken in einem draufgängerischen Markt mit besonderer Leichtfertigkeit handelten. Doch in ihrem sechsseitigen Memo an Brian Lenihan – für das Merrill Lynch vom irischen Steuerzahler mit 7 Millionen Euro honoriert wurde – behielten sie eventuelle Vorbehalte strikt für sich. »Alle irischen Banken sind rentabel und gut kapitalisiert«, schrieben die Berater von Merrill Lynch und legten in ihren weiteren Ausführungen nahe, dass ihr Problem nicht etwa die faulen Kredite seien, die sie vergeben hätten, sondern die Panik auf dem Markt. Das Memo von Merrill Lynch führte eine Reihe möglicher Reaktionen der irischen Regierung auf einen potenziellen Run auf irische Banken auf. Dabei verzichtete man ausdrücklich auf die Empfehlung einer bevorzugten Vorgehensweise. Die Analyse des Problems lief aber auf eine Garantie für die Banken als vernünftigste Handlungsoption hinaus. Immerhin waren die Banken ja »fundamental solide«. Durch die Zusage, alle Verluste zu übernehmen, würden sich die Märkte rasch beruhigen – und die irischen Banken wären umgehend wieder
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