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Boomerang

Boomerang

Titel: Boomerang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Lewis
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spektakuläre Erfolge dachten. Wenn eine Bank den Konkurs über einen Iren eröffnet, schreibt sie anschließend einen Brief an seine Familie und informiert diese über die Insolvenz – und die Schande. Eine Konkursmitteilung wird in einer nationalen und einer lokalen Tageszeitung veröffentlicht. Zwölf Jahre lang darf ein irischer Bankrotteur nicht mehr als 650 Euro Kredit aufnehmen, maximal 3   100 Euro an Vermögenswerten besitzen und nicht ohne amtliche Erlaubnis ins Ausland reisen. Zwölf Jahre lang kann ein Teil seines Einkommens direkt an seine Gläubiger weitergeleitet werden. »Das ist nicht wie in den Vereinigten Staaten, wo ein Konkurs fast eine Ehre darstellt«, erklärt Patrick White vom Irish Property Council. »Hier wird man praktisch aus dem gewerblichen Leben ausgestoßen.«
    Es gibt da eine alte Finanzregel, die neuerdings auch auf Irland zutrifft: Wenn du der Bank 5 Millionen schuldest, gehörst du der Bank. Aber wenn du der Bank 5 Milliarden |151| schuldest, gehört die Bank dir. Über die Außenstände der großen irischen Bauträger – also all jener mit Bankschulden über 20 Millionen Euro – wird jetzt hinter verschlossenen Türen verhandelt. Weil sie dem Staat geholfen haben, ihre Immobilienportfolios zu verwalten oder flüssig zu machen, wurde den größten Bankrotteuren der Konkurs erspart. Kleinere Unternehmer wie McNamara befinden sich in einer weitaus prekäreren Lage. Zwar scheint niemand zu wissen, wie viele es von ihnen gibt, doch ihre Zahl ist eindeutig groß. Irlands National Asset Management Agency kontrolliert gewerbliche Immobiliendarlehen über rund 80 Milliarden Euro. Ein irischer Immobilienexperte namens Peter Bacon, der die NAMA bei ihrer Gründung beriet, teilte kürzlich mit, dass sich die kleineren irischen Immobiliendarlehen (also solche unter 20 Millionen Euro) seiner Rechnung nach insgesamt auf weitere 80 Milliarden Euro summierten. Eine sehr große Zahl ehemaliger irischer Handwerksunternehmen befindet sich in der gleichen Situation wie Joe McNamara. Und eine sehr hohe Anzahl irischer
Eigenheimbesitze r
ist in ganz ähnlicher Lage.
    Der Unterschied zwischen McNamara und allen anderen: Er hat sich beschwert, und zwar öffentlich. Was er im Anschluss allerdings offenbar bedauerte. Ich spürte seine Exfrau auf und rief sie an, doch sie lachte nur und schickte mich zum Teufel. Am Ende erreichte ich McNamara sogar persönlich über sein Handy. Er brummte aber nur, dass er keine weitere Aufmerksamkeit auf sich ziehen möchte, und legte auf. Erst als ich ihm eine SMS schickte, ich sei auf dem Weg in seinen Heimatort, veranlasste ihn das, mit mir zu kommunizieren. »Was wollen Sie denn in Keel????«, brüllte er gleich mehrfach per SMS. »Sagen Sie mir,
wozu fahren Sie nach Keel???
« Dann verfiel er erneut in Schweigen. »Das Problem mit den Iren«, |152| erklärt mir Ian, als wir uns von dem schwarzen Loch entfernen, das Joe McNamara ruiniert hat, »ist, dass sie ungeheuer viel Druck aushalten. Doch wenn sie darunter zerbrechen, dann drehen sie durch.« (Einen Monat später tauchte McNamara wieder aus der Versenkung auf und schrie sich von einem Baukran aus, den er quer durchs Land gefahren und wieder vor dem Parlament geparkt hatte, die Seele aus dem Leib.)
    ***
    Zwei Dinge fallen jedem Iren auf, wenn er nach Amerika kommt, wie mir irische Freunde verraten haben: die Weite und der anscheinend hemmungslose Drang der Menschen, über private Probleme zu sprechen. Einem Amerikaner, der nach Irland reist, fallen ebenfalls zwei Dinge auf: wie klein alles ist und wie zugeknöpft die Menschen. Hat ein Ire ein persönliches Problem, verkriecht er sich damit in einem Loch wie ein Eichhörnchen mit einer Nuss, wenn der Winter kommt. Er quält sich und manchmal auch seine Lieben. Niemals aber wird er, wenn sich das Schicksal gegen ihn gewendet hat, mit anderen darüber sprechen. Die berühmte irische Gabe des Tratschens ist in Wirklichkeit nur der Deckmantel für alles, was Ihnen die Iren nicht erzählen.
    Soweit ich sehen konnte, hatte sich der Teil der irischen Bevölkerung, der bereit war, wegen der erlittenen Unbilden auf die Barrikaden zu gehen, am 10. November 2010 auf einen reduziert: den Eierwerfer. Also fahren wir am nächsten Tag zu ihm und halten vor einem bescheidenen älteren Reihenhaus in einem Vorort von Dublin. Der fröhliche ältere Herr, der uns in einem adretten weinroten Pullover und ordentlich gebügelten Hosen die Türe öffnet, verfügt neben anderen

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