Boomerang
stopfen und zu beten, dass niemand die noch größeren und bedrohlicheren Löcher in den Staatshaushalten von Spanien, Italien und sogar Frankreich bemerkt.
Bislang kam das Geld für die Rettungsaktionen von der Europäischen Zentralbank in Frankfurt. Als die EZB gegründet wurde, sollte sie mit derselben Disziplin agieren wie die Deutsche Bundesbank, doch von den guten Vorsätzen ist nicht mehr viel übrig. Seit Beginn der Finanzkrise hat sie griechische, irische und portugiesische Staatsanleihen im Wert von über 55 Milliarden Euro aufgekauft und verschiedenen europäischen Regierungen und Banken rund 320 Milliarden Euro geliehen. Bei der Kreditvergabe hat sie fast jede Sicherheit akzeptiert, selbst griechische Staatsanleihen. Aber eine Regel ist den Deutschen heilig: Die EZB darf als Sicherheit keine Staatspapiere akzeptieren, die von den amerikanischen Rating-Agenturen als Zahlungsausfall eingestuft werden. Wenn man bedenkt, dass die EZB ursprünglich überhaupt keine auf dem Markt gehandelten Staatsanleihen aufkaufen durfte, verwundert es ein bisschen, dass sie sich so an dieses Detail klammert. Sollte Griechenland also den Staatsbankrott erklären, dann |167| verliert die EZB nicht nur ihre griechischen Staatsanleihen, sondern muss die Papiere an die europäischen Banken zurückgeben und von diesen 320 Milliarden Euro eintreiben. Die EZB könnte selbst zahlungsunfähig werden und sich an die zahlungskräftigen Mitgliedsstaaten wenden, allen voran Deutschland. (Ein ranghoher Beamter der Deutschen Bundesbank erklärte mir, für diese Eventualität gebe es bereits Pläne. »Wir haben 3 400 Tonnen Gold. Wir sind das einzige Land, das noch über seine ursprünglichen Goldreserven [aus den vierziger Jahren] verfügt. Wir sind abgesichert.«) Das eigentliche Problem der griechischen Staatsverschuldung besteht also darin, dass sie andere europäische Länder und Banken in die Zahlungsunfähigkeit stürzen könnte. Zumindest könnte sie am Markt für Staats- und Bankanleihen Panik auslösen, und das zu einem Zeitpunkt, an dem mindestens zwei weitere hoch verschuldete Länder, nämlich Italien und Spanien, keine Panik gebrauchen können.
Aus Sicht des deutschen Finanzministeriums ist die Ursache für dieses Chaos die mangelnde Bereitschaft und Unfähigkeit der Griechen, die nötigen Veränderungen vorzunehmen. Aber genau darum ging es bei der Währungsunion von Anfang an: Ganze Länder mussten ihre Lebensweise ändern. Was ursprünglich als Mittel gedacht war, um die Deutschen in Europa zu integrieren und ihre Vorherrschaft zu verhindern, hat sich in sein Gegenteil verkehrt. Wie man es auch dreht und wendet, die Deutschen besitzen heute Europa. Wenn die übrigen europäischen Nationen wie bisher die Vorzüge einer im Grunde deutschen Währung genießen wollen, dann müssen sie eben deutscher werden. Viele Menschen, die sich lieber nicht ausmalen wollen, was »deutsch« sein bedeuten könnte, müssen sich heute mit diesem Gedanken auseinandersetzen.
|168| Jörg Asmussen deutet eine erste Antwort an – und zwar in seiner Person. In Deutschland fällt jemand wie er nicht weiter auf, aber in Griechenland und in vielen anderen Ländern wäre er vermutlich eine Art Außerirdischer: ein hoch intelligenter und ehrgeiziger Beamter, der kein anderes Interesse hat, als seinem Land zu dienen. In seinem glänzenden Lebenslauf fehlt eine Zeile, die in den Lebensläufen seiner Kollegen im Rest der Welt fast unweigerlich stehen würde: die Zeile, in der er seine Stelle als Regierungsbeamter aufgibt, um zu Goldman Sachs zu wechseln und abzukassieren. Als ich einen von Asmussens Kollegen fragte, warum er nie in die Privatwirtschaft gewechselt sei, um dort das große Geld zu verdienen, sah er mich entsetzt an: »Das würde ich nie tun«, antwortete er mir. »Das wäre nicht loyal!«
Asmussen stimmt dem zu und spricht das deutsche Dilemma direkt an. Sonderbarerweise hatte die Verfügbarkeit von billigem Geld, das im vergangenen Jahrzehnt die Märkte überflutete, in jedem Land seine eigenen Auswirkungen. Jede Industrienation reagierte anders auf die Versuchung. Letztlich nutzten die übrigen europäischen Nationen die Kreditwürdigkeit der Deutschen, um auf Einkaufstour zu gehen. Sie bekamen Geld zu denselben Bedingungen wie die Deutschen und kauften damit Dinge, die sie sich nicht leisten konnten. Die Einzigen, die der Versuchung widerstanden, waren die Deutschen selbst. »In Deutschland gab es keinen Kredit-Boom«, erklärt
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