Boomerang
Asmussen. »Der Immobilienmarkt blieb konstant. Die Leute haben nicht auf Pump konsumiert. Dieses Verhalten ist den Deutschen fremd. Die Deutschen sparen, so viel sie können. Vielleicht ist das ein Überbleibsel der kollektiven Erinnerung an die Hyperinflation der zwanziger Jahre und die Weltwirtschaftskrise.« Die deutsche Regierung sei genauso |169| zurückhaltend, so Asmussen, denn es herrsche »ein Konsens zwischen allen Parteien: Wer nicht verantwortlich haushaltet, hat bei den Wahlen keine Chance, denn genauso denken die Menschen.«
Angesichts der Verlockungen des billigen Geldes taten die Deutschen also das genaue Gegenteil dessen, was die Isländer, Iren, Griechen und nicht zu vergessen die Amerikaner taten. Andere Länder nahmen fremdes Geld auf, um damit die verrücktesten Dinge zu finanzieren. Und die Deutschen beziehungsweise ihre Banken benutzten ihr Geld, um Ausländern die verrücktesten Dinge zu ermöglichen.
Und genau das macht den deutschen Fall so ungewöhnlich. Wenn sie einfach nur die einzige Industrienation mit einer gesunden Zahlungsmoral gewesen wären, dann wäre das eine Sache. Es kam jedoch etwas Sonderbares hinzu: Während des Kreditbooms taten die deutschen Banker alles, um sich schmutzig zu machen. Sie verliehen ihr Geld an irische Immobilienhaie, isländische Zocker und amerikanische Investmentbanken, die mit diesem Geld Dinge anstellten, die kein Deutscher je tun würde. Bis heute ist unklar, wie viel die deutschen Banken genau versenkt haben – zuletzt war von 15 Milliarden Euro in Island, über 140 Milliarden in Irland und über 40 Milliarden in den Vereinigten Staaten die Rede; die Verluste mit griechischen Staatsanleihen sind noch gar nicht beziffert. Der einzige Finanzbetrüger, dem die deutschen Banken im vergangenen Jahrzehnt nicht aufsaßen, war Bernie Madoff. Zu Hause übten sich diese enthemmten Banker jedoch in Zurückhaltung. Mit etwas anderem wären sie bei den Deutschen auch gar nicht durchgekommen. Es war ein weiterer Fall von »außen sauber, innen schmutzig« – die deutschen Banken, die sich ein bisschen schmutzig machen wollten, mussten ins Ausland gehen.
|170| Dazu hat der Finanzstaatssekretär allerdings recht wenig zu sagen. Er wundert sich bis heute, wie eine Immobilienkrise in Florida den Deutschen derartige Verluste bescheren konnte.
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Ein deutscher Wirtschaftswissenschaftler namens Henrik Enderlein, der an der Hertie School of Governance in Berlin unterrichtet, hat diesen radikalen Kurswechsel beschrieben, den die deutschen Banken nach 2003 vornahmen. In einem bisher unveröffentlichten Aufsatz schreibt er: »Viele Beobachter meinten zunächst, die deutschen Banken seien durch die Krise kaum in Mitleidenschaft gezogen worden. Das Gegenteil war der Fall. Trotz relativ guter wirtschaftlicher Bedingungen gehörten die deutschen Banken zu den am stärksten betroffenen in Zentraleuropa.« Die meisten Beobachter waren davon ausgegangen, dass die deutschen Banken konservativer und vom Rest der Welt isolierter waren als beispielsweise die französischen. Diese Annahme erwies sich jedoch als falsch. »Das deutsche Bankwesen hat nie innovative Finanzprodukte hervorgebracht«, erläutert Enderlein. »Die Bank gab einem Unternehmen Geld und das Unternehmen zahlte es zurück. Quasi über Nacht wurden die Banken plötzlich amerikanisch. Leider konnten sie das nicht besonders gut.«
Was die Deutschen zwischen 2003 und 2008 mit ihrem Geld machten, wäre in Deutschland selbst vollkommen undenkbar gewesen. Was sie auch anfassten, sie verloren riesige Summen. Viele Europäer – allen voran die Griechen – meinen, die europäische Schuldenkrise sei nichts anderes als der Versuch der deutschen Regierung, den deutschen Banken ihre Verluste zurückzuerstatten, ohne dass es jemand mitbekommt. Die deutsche Regierung zahlt an den europäischen Rettungsfonds, |171| der das Geld an die irische Regierung verleiht, die es an die irischen Banken weitergibt, welche damit ihre Schulden bei deutschen Banken begleichen. »Es ist wie ein riesiges Billardspiel«, meint Enderlein. »Es wäre einfacher, die Bundesregierung würde den deutschen Banken das Geld geben und die irischen Banken pleitegehen lassen.« Es ist eine interessante Frage, warum sie das nicht einfach genau so macht.
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Der zwanzigminütige Fußweg vom Finanzministerium zum Büro des Aufsichtsratsvorsitzenden der Commerzbank, einer der beiden großen Privatbanken Deutschlands, ist von der offiziellen
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