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Boomerang

Boomerang

Titel: Boomerang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Lewis
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Erinnerungskultur gesäumt: Ich komme am neuen Holocaust-Denkmal vorbei, gehe durch die Hannah-Arendt-Straße und sehe Wegweiser zum neuen Jüdischen Museum. In der Ferne erkenne ich den Zoologischen Garten, an dessen Antilopenhaus seit einigen Wochen eine Plakette an die enteigneten jüdischen Zoo-Aktionäre erinnert. Auch Hitlers Führerbunker liegt auf dem Weg, allerdings befindet sich an dieser Stelle heute ein Parkplatz und die Gedenktafel ist gut versteckt.
    Die Straßen von Berlin wirken auf mich wie ein Schrein des deutschen Schuldgefühls. Man könnte meinen, die Deutschen hätten gelernt zu akzeptieren, dass sie immer die Bösen sind. Dabei ist kaum einer der am Holocaust Beteiligten noch am Leben. Wenn Außerirdische, die keine Ahnung von der deutschen Geschichte hätten, in Berlin landen würden, könnten sie sich fragen, wer nur diese Juden sein mögen und warum sie die Stadt beherrschen. Aber es gibt in Deutschland kaum noch Juden. »Die meisten Deutschen haben nie einen Juden gesehen«, meint Gary Smith, Direktor der American Academy in Berlin. »Sie sind unwirklich. Wenn Deutsche an Juden denken, |172| dann meistens in der Rolle der Opfer.« Je mehr Zeit seit dem Holocaust vergeht, umso öffentlicher gedenken die Deutschen ihrer Opfer. Es gibt allerdings viele Hinweise darauf – nicht zuletzt die Denkmäler – dass die Deutschen ihr Schuldbewusstsein allmählich überwinden. Ein guter Freund von mir – ein Jude, dessen Familie in den dreißiger Jahren aus Deutschland geflohen war – ging unlängst zu einem deutschen Konsulat in den Vereinigten Staaten, um einen deutschen Pass zu beantragen. Er hatte bereits einen europäischen Pass, aber er fürchtete, die Europäische Union könne auseinanderbrechen, und er wollte problemlos nach Deutschland reisen können. Der zuständige Beamte reichte ihm eine Broschüre mit dem Titel »Jüdisches Leben im modernen Deutschland«.
    »Hätten Sie etwas dagegen, sich vor die Flagge zu stellen, damit ich ein Foto von Ihnen machen kann?«, fragte er, nachdem er das Antragsformular entgegengenommen hatte.
    Mein Freund starrte auf die deutsche Fahne.
    »Wozu soll das gut sein?«, wollte er wissen.
    »Für unsere Internetseite«, antwortete der Beamte. Die Bildunterschrift sollte darauf hinweisen, dass es sich um einen Nachfahren von Holocaust-Überlebenden handelte, der wieder nach Deutschland zurückkehren wolle.
    ***
    Auf dem Höhepunkt der Finanzkrise fing die Bundesregierung die Commerzbank mit einer Geldspritze auf und übernahm einen 25-prozentigen Anteil an der Bank. Aber ich war aus einem anderen Grund auf sie aufmerksam geworden. Als ich eines Abends mit einem Banker durch Frankfurt ging, fiel mir der Commerzbank-Tower auf. Die obersten Etagen des 53 Stockwerke hohen Gebäudes erinnerten mich an einen Thron. |173| Mein Begleiter, der oft in dem Gebäude zu tun hatte, meinte, das Interessanteste an dem Gebäude sei ein Raum ganz oben, von dem aus man auf Frankfurt hinunterblicke. Es sei eine Herrentoilette. Manager der Commerzbank hatten sie ihm gezeigt, um ihm vorzuführen, wie man von dort oben für alle Welt sichtbar auf die Deutsche Bank pinkeln könne. Und wenn man sich in eine Kabine setzte, könnte man auf die Konkurrenz sogar …
    Der Aufsichtsratsvorsitzende Klaus-Peter Müller sitzt allerdings in Berlin, und zwar in einem besonders geschichtsträchtigen Gebäude gleich neben dem Brandenburger Tor. Einst befand sich das Haus im Todesstreifen: Auf der Vorderseite lauerten bewaffnete Mauerschützen, die Rückseite bildete die Kulisse für Ronald Reagans berühmte Rede (»Mr. Gorbachev, tear down this wall!«). Wenn man das Gebäude heute sieht, würde man dies kaum vermuten. »Nach dem Mauerfall hatten wir die Möglichkeit, dieses Gebäude zurückzukaufen«, erklärt Müller. »Es hatte uns vor dem Krieg gehört. Aber wir mussten es originalgetreu restaurieren. Alles musste von Hand gefertigt werden.« Er zeigte auf die scheinbar antiken Fenster und die Türgriffe aus Messing. »Fragen Sie mich nicht, was das alles gekostet hat«, lacht er. In den vergangenen zwei Jahrzehnten wurden in Ostdeutschland ganze Altstadtviertel, die im Zweiten Weltkrieg zerstört worden waren, wiederaufgebaut. Wenn das so weitergeht, sieht Deutschland irgendwann wieder so aus, als hätte es nie einen Krieg gegeben.
    Müller bietet mir dasselbe Panorama des deutschen Bankwesens, das ich noch ein Dutzend Mal hören sollte. Die meisten deutschen Geldinstitute sind keine

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