Boomerang
verstehen.«
Henry Ford
Ich bin überrascht. Das ist so gar nicht das Motto, das ich von einem durchtrainierten Kahlkopf erwartet hätte. Das ist ja …
soft
. Der Staatssekretär stellt meinen ersten Eindruck vollends auf den Kopf, als er mit beinahe leichtsinniger Klarheit über |164| Dinge spricht, die andere Finanzstaatssekretäre eigentlich von Berufs wegen verheimlichen würden. Unaufgefordert erzählt er mir, er habe gerade den jüngsten internen Bericht des Weltwährungsfonds zu den Reformfortschritten der griechischen Regierung gelesen.
»Die Regierung hat die versprochenen Maßnahmen nicht in ausreichendem Maße umgesetzt«, stellt er kühl fest. »Außerdem haben sie ein massives Problem beim Steuereinzug. Die Steuergesetzgebung an sich ist in Ordnung. Nur das Einzugsverfahren muss vollkommen überholt werden.«
Die Griechen haben mit anderen Worten keine Lust, ihre Steuern zu bezahlen. Aber das ist nur eine von vielen griechischen Sünden. »Sie kommen mit der Strukturreform nicht voran. Der Arbeitsmarkt verändert sich zwar, aber viel zu langsam«, fährt er fort. »Für eine Arbeit, für die ein deutscher Arbeitnehmer heute 55 000 Euro verdient, bekommt ein griechischer nach den Entwicklungen der letzten zehn Jahre 70 000 Euro.« Um Lohnbeschränkungen zu umgehen, zahlte die griechische Regierung ihren Beamten 14 Monatsgehälter. »Das Verhältnis zwischen Regierung und Bürgern muss sich ändern«, fährt Asmussen fort. »Aber das ist nicht in drei Monaten zu schaffen, das braucht seine Zeit.« Deutlicher könnte er es nicht ausdrücken: Wenn Deutsche und Griechen nebeneinander in einer gemeinsamen Währungsunion existieren wollen, dann müssen sich die Griechen ändern.
Das wird aber vermutlich so viel Zeit in Anspruch nehmen, dass es nicht mehr ins Gewicht fällt. Die Griechen haben nicht nur einen gewaltigen Schuldenberg angehäuft, sondern nach wie vor stehen sie vor einem riesigen Haushaltsdefizit. Da sie in einer künstlich starken Währung gefangen sind, können sie dieses Defizit nicht so einfach über Nacht in ein Haushaltsplus |165| verwandeln, auch wenn sie alles tun, was das Ausland von ihnen verlangt. Die deutsche Regierung forderte eine Kürzung der griechischen Staatsausgaben, aber das bremst das Wirtschaftswachstum und verringert die Steuereinnahmen. Es bleiben also im Grunde nur zwei Möglichkeiten: Entweder müssen die Deutschen einer gemeinsamen Haushaltspolitik mit den übrigen europäischen Nationen zustimmen, das heißt, die deutschen Bürger müssen mit ihren Steuern die griechischen Bürger alimentieren. Oder die Griechen (und vermutlich alle anderen Europäer außer den Deutschen) müssen eine »Strukturreform« durchführen und auf wunderbare Weise genauso effizient und produktiv werden wie die Deutschen. Die erste Lösung wäre angenehm für die Griechen und schmerzhaft für die Deutschen. Die zweite Lösung wäre angenehm für die Deutschen und schmerzhaft bis selbstmörderisch für die Griechen.
Das wirtschaftlich einzig plausible Szenario sieht so aus, dass die Deutschen und die übrigen halbwegs zahlungsfähigen Europäer (die rasch weniger werden) die Ärmel hochkrempeln und für alle anderen zahlen. Doch was wirtschaftlich plausibel ist, lässt sich politisch nicht verkaufen. Denn an
ein
Versprechen ihrer Politiker erinnern sich die Deutschen noch ganz genau: Sie ließen sich nur breitschlagen, ihre D-Mark gegen den Euro einzutauschen, wenn sie nie für die Schulden anderer Länder aufkommen mussten. Diese Regel wurde mit der Gründung der Europäischen Zentralbank aufgestellt – und vor einem Jahr gebrochen. In der deutschen Öffentlichkeit kocht der Zorn über diesen Wortbruch täglich höher – so hoch, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel mit ihrem Gespür für die öffentliche Meinung sich nicht einmal an die Bürger wandte, um sie davon zu überzeugen, dass es |166| vielleicht in ihrem Interesse sein könnte, den Griechen unter die Arme zu greifen.
Aus diesem Grund sind die europäischen Finanzprobleme derart vertrackt. Genau deshalb schicken heute Griechen Bomben ins Kanzleramt und werfen Deutsche die Scheiben der griechischen Botschaft in Berlin ein. Und genau deshalb haben die europäischen Politiker bisher nichts unternommen, als den unvermeidlichen Tag der Abrechnung immer weiter aufzuschieben, alle paar Monate notdürftig die immer größer und bedrohlicher werdenden Löcher in den Staatshaushalten von Griechenland, Irland und Portugal zu
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