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Boomerang

Boomerang

Titel: Boomerang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Lewis
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fragen, was hier passiert, aber er will nicht mit mir reden. »Warum sollte ich Ihnen irgendetwas sagen?«, meint ein Kerl, der auf einem Campingstuhl sitzt. Er hält sich offenbar für sehr gewitzt, und vielleicht ist er es ja auch.
    In der Eingangshalle des Rathauses herrscht gähnende Leere. Es gibt einen Empfangsschalter, aber er ist nicht besetzt. Stattdessen hängt dort ein Schild: An die Versteigerer und Bieter der Zwangsversteigerungen: Bitte treiben Sie Ihre Geschäfte nicht in der Eingangshalle des Rathauses.
    Im vierten Stock finde ich die Büroräume des neuen Stadtdirektors, Phil Batchelor, aber als ich eintrete, ist niemand in Sicht. Das Großraumbüro besteht aus vielen kleinen Arbeitszellen – alle unbesetzt. Nach einiger Zeit taucht eine Frau auf und führt mich zu Batchelor persönlich. Er ist in seinen Sechzigern und hat, was mich erstaunt, als Autor zwei Bücher veröffentlicht: |225| einen Ratgeber über Kindererziehung und einen anderen darüber, wie man sich auf den Tod vorbereitet. Beide verkünden unverhüllt eine christliche Botschaft, aber Batchelor hat überhaupt nichts Missionarisches; er wirkt sensibel und ein bisschen müde.
    Bevor er in den Ruhestand ging, verdiente er seinen Lebensunterhalt als Stadtdirektor von Kommunen, die in finanziellen Schwierigkeiten steckten. Erst nachdem ihn die Stadtverordnetenversammlung mehrere Male darum gebeten hatte, beendete er seinen Ruhestand, um diesen Job anzunehmen. »Je öfter du nein sagst«, erklärt er, »umso größer ist ihre Entschlossenheit, dich zu kriegen.« Die Gegenleistung, die er verlangte, war nicht finanzieller, sondern sozialer Art. Er würde den Job nur übernehmen, wenn die Stadtverordneten sich wie zivilisierte Menschen benahmen und aufhörten, grob miteinander umzugehen. Dies sicherten sie ihm sogar schriftlich zu und hielten sich auch an die Vereinbarung. »Ich war schon in vielen Städten, die vor einem Haufen Probleme standen, aber so etwas wie hier habe ich noch nie gesehen«, sagt er. Dann erklärt er genauer, was er an der Situation außergewöhnlich findet; bei der Personalfrage fängt Batchelor an. Er führt die Geschäfte einer Stadt, und sein Mitarbeiterstab besteht aus einer Person: Ich habe sie gerade kennengelernt. »Wenn sie zur Toilette geht, muss sie hier die Tür abschließen, wenn ich in einer Sitzung bin«, bemerkt er, »weil wir außer ihr niemanden haben.«
    2008 hatte Vallejo Insolvenz angemeldet, nachdem es der Stadt nicht gelungen war, mit ihren vielen Gläubigern eine Einigung zu erzielen. 80 Prozent des Budgets – und der Löwenanteil der Ansprüche, die Vallejo in den Bankrott getrieben haben – gingen in den Gehältern und Zusatzleistungen |226| für die Beschäftigten im Bereich öffentliche Sicherheit auf. Das Verhältnis zwischen Polizisten und Feuerwehrleuten auf der einen und den Bürgern der Stadt auf der anderen Seite hatte einen historischen Tiefstand erreicht.
    Sicherheits- und Rettungskräfte waren der Meinung, die Stadt würde sie um ihre vertraglich zugesicherten Rechte betrügen; die Bürger warfen ihnen im Gegenzug vor, Angst als Mittel einzusetzen, um mehr Geld aus ihnen herauszupressen. Einem unter den Bürgern der Stadt kursierenden Witz zufolge stand »P.D.« nicht für Polizeidirektion, sondern für »Pay or Die« (Zahl oder stirb). Die Sitzungen der Stadtverordnetenversammlung waren zur Zielscheibe der Bürgerwut geworden: Einmal war ein Bewohner der Stadt in den Rathaussaal gestürmt und hatte den Abgeordneten einen Schweinekopf vor die Füße geworfen.
    »Es gibt keinen Grund dafür, dass Vallejo derartig am Arsch ist«, ereifert sich ein langjähriger Bürger der Stadt, der das Internetmagazin »Vallejo Independent Bulletin« gegründet hat, um den Krieg zwischen Bürgern und Angestellten der Stadt zu dokumentieren. »Von hier nach San Francisco ist es bloß eine Bootsfahrt. Wenn man hier einen Stein wirft, schlägt er in Napa auf.« Seit dem Bankrott ist das Personal bei Polizei und Feuerwehr auf die Hälfte geschrumpft; etliche der Bürger, die Phil Batchelor in seiner Amtsstube besuchen, tun dies, um sich zu beklagen, weil sie sich in ihren vier Wänden nicht mehr sicher fühlen. Alle anderen Abteilungen des öffentlichen Dienstes sind praktisch auf null zurückgefahren worden. »Wussten Sie, dass es Städte gibt, die ihre Straßen asphaltieren?«, fragt Batchelor. »Vallejo gehört nicht zu ihnen.«
    Auf seinem Bücherbord entdecke ich eine
Fortune
-Ausgabe mit Meredith

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