Boomerang
Whitney auf der Titelseite. Und während Batchelor |227| vom Bankrott seiner Stadt erzählt, wird mir klar, dass ich diese Geschichte – oder zumindest eine privatwirtschaftliche Version davon – schon einmal gehört habe. Diejenigen, die in der Gesellschaft die Macht ausüben und deren Aufgabe es ist, die Gesellschaft vor sich selbst zu schützen, haben sie stattdessen ausbluten lassen. Das Problem mit den Polizeibeamten und Feuerwehrleuten ist kein Problem des öffentlichen Dienstes; es ist kein Problem der Regierung, es ist ein Problem der gesamten Gesellschaft. Es ist das, was an der Wall Street im Vorfeld der Hypothekenkrise passiert ist. Es ist ein Problem der Gier von Menschen, die ohne Rücksicht auf die gesamtgesellschaftlichen Folgen an sich raffen, was sie nur können, weil sie es eben können. Es ist kein Zufall, dass die staatliche und kommunale Verschuldung zur gleichen Zeit außer Kontrolle geriet wie die der Privathaushalte. Allein mit einem Haufen Geld in einer dunklen Kammer, wussten Amerikaner von der Elite der Gesellschaft bis zu deren Bodensatz genau, was zu tun war. Sie waren darauf geeicht, so viel an sich zu raffen, wie sie nur konnten, ohne sich Gedanken über die langfristigen Folgen zu machen. Danach beklagten sich die Leute von der Wall Street im privaten Kreis über die schlechte Moral der amerikanischen Bürger, die ihre Subprime-Hypotheken einfach nicht mehr bedienten, und die amerikanischen Bürger machten ihrer Empörung über Wall-Street-Leute Luft, die sich selbst für die faulen Kredite, die sie erfunden hatten, ein Vermögen auszahlten.
Nachdem es der Kommune nicht gelungen war, die Angestellten im Sicherheits- und Rettungswesen davon zu überzeugen, dass sie es sich einfach nicht leisten konnte, sie reich zu machen, war für Vallejo, Kalifornien, die Talsohle erreicht: Tiefer konnte die Stadt nicht fallen. »Meine Einstellung |228| war: Egal, wer schuld ist, es muss sich etwas ändern«, erklärt Batchelor. Als ich mich wenige Monate, nachdem er seinen Posten übernommen hatte, mit ihm traf, war er immer noch bemüht, ein dringliches Geldproblem zu lösen: Es gab eine Gruppe von 1 013 Klägern, die von der Stadt eine halbe Milliarde Dollar forderten, aber die Stadt verfügte nur über 6 Millionen Dollar, um sie zufriedenzustellen. Sie waren wie die Überlebenden eines Schiffbruchs, die jetzt in einem Rettungsboot mit begrenzter Aufnahmefähigkeit saßen. Wie Batchelor es sah, war es seine Aufgabe, die Leute davon zu überzeugen, dass sie nur überleben konnten, wenn sie an einem Strang zogen. Das Problem der Stadt stellten in seinen Augen nicht die Finanzen dar: Sie waren nur das Symptom. Die eigentliche Krankheit war kultureller Natur. Wenige Wochen zuvor hatte er ein Rundschreiben an die noch verbliebenen Bediensteten der Stadt geschickt – an die Stadtverordneten, den Bürgermeister, an Polizeibeamte und Feuerwehrleute. Die Botschaft dieses Schreibens lief im Großen und Ganzen darauf hinaus, dass jeder Einzelne von ihnen sein Verhalten würde ändern müssen, wenn sie die Probleme der Stadt lösen wollten. »Es geht um die einzelnen Leute«, bemerkte er. »Sie müssen lernen, sich gegenseitig zu respektieren, integer zu sein, Höchstleistungen zu erbringen. Kulturen verändern sich. Aber die Leute müssen die Veränderung wollen. Wenn man sie gegen ihren Willen dazu überredet, ändert sich nichts an ihrer inneren Einstellung.«
»Wie verändert man die Kultur einer ganzen Stadt?«, wollte ich von ihm wissen.
»Als Erstes müssen wir nach innen schauen«, meinte er.
***
|229| Der Weg aus Vallejo hinaus führt direkt durch das Büro von Peter Whybrow, einem britischen Neurowissenschaftler, der an der Universität Los Angeles arbeitet und eine bestimmte Theorie über das US-amerikanische Leben hat. Er hält die Funktionsstörung in der Gesellschaft für ein Abfallprodukt des amerikanischen Erfolgs. In wissenschaftlichen Beiträgen sowie in einem erfolgreichen Buch,
American Mania
, vertritt er letztendlich die These, dass der Mensch seiner neurologischen Beschaffenheit nach nicht zum modernen Amerikaner taugt. Das menschliche Gehirn hat sich im Laufe von Hunderttausenden von Jahren in einer natürlichen Umgebung entwickelt, die von Kargheit gekennzeichnet war. Es war zumindest ursprünglich nicht für eine Welt des extremen Überflusses vorgesehen. »Der Mensch läuft mit einem Gehirn herum, das sagenhaft begrenzt ist«, bemerkt Whybrow gut gelaunt. »Im Kern sind wir
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