Borderlands
ich bat, alles, was er über Ratsy Donaghey im
Zusammenhang mit IID finden konnte, herauszusuchen.
Ich hatte mich entschieden, Tommy Powell noch nicht zu erwähnen, da ich annahm,
dass der Name bei der Überprüfung von IID ohnehin
fallen würde. Aber ich erwähnte das Gerücht über den Bestechungsverdacht und
den Vorsitzenden Joseph Cauley. Armstrong sagte mir, es könne einige Tage
dauern.
Dann versuchte
ich erneut, Hendry wegen Yvonne Coyle zu sprechen, doch er war noch immer nicht
zu erreichen. Ich saß in unserem Lager-Büro und sah Williams zu, die die
Telefonbücher und Wahlverzeichnisse von Derry nach Joanne Duffy, Mary Knox’
Freundin, durchsuchte. Schließlich setzte ich mich neben Williams und half ihr.
Nach mehreren falschen Spuren, drei Bechern Kaffee und einem geteilten Thunfischsandwich
fanden wir die Frau.
14
Montag, 30. Dezember
Joanne Duffy war 1983 von Strabane nach Derry
gezogen und hatte einen Mann namens Edgar van Roost geheiratet, einen
belgischen Politikwissenschaftler, der an einer Universität in der Nähe Dozent
für Friedens- und Konfliktforschung war. Sie hatten sich bei einer politischen
Kundgebung kennengelernt, bei der van Roost einen Vortrag gehalten und den
Konflikt in Nordirland mit dem im Nahen Osten verglichen hatte, während Duffy
das sozialistische Blatt ›Socialist Worker‹ an die teilnahmslose Menge verteilt
hatte.
Nun lebten sie
in einem Teil von Derry, der Foyle Springs heißt, in einer bescheidenen
Doppelhaushälfte, die einen neuen Anstrich gebrauchen konnte. Die
Inneneinrichtung war jedoch weit von dem entfernt, was wir von Sozialisten
erwartet hätten. Ein gewaltiger Kronleuchter beherrschte die zwar recht
schmale, aber mit einem Plüschteppich ausgelegte Diele. Er hing so niedrig,
dass ich um ihn herum statt darunter hindurchgehen musste.
Duffy war ganz
offensichtlich mit Anmut gealtert, wenn auch möglicherweise mit ein wenig
chirurgischer Hilfe – ihre Augen waren unnatürlich faltenfrei, ihre Lippen voll
und von einem perfekten Rosa. Ihre Wangen betonte sie mit Rouge, und die
weißblonden Haare trug sie in einem Knoten hoch auf dem Kopf.
Sie rauchte
eine lange, dünne, braune Zigarette, zog schwach daran und stieß den Rauch in
einem einzigen Wölkchen wieder aus, als wäre sie es nicht gewohnt zu rauchen.
»Ich darf
nicht inhalieren«, erklärte sie, als sie meine Neugier bemerkte, und machte
eine vage Geste mit der Zigarette, »ich habe Asthma. Ich dürfte eigentlich gar
nicht rauchen, aber ich kann’s einfach nicht lassen.«
Williams
nickte verständnisvoll. »Ms Duffy, wie ich Ihnen schon am Telefon sagte, versuchen
wir, die Familie von Mary Knox zu finden.«
Duffy nickte,
und ihr Haarknoten schwankte. »Mary, Gott gebe ihrer Seele Frieden. Haben Sie
sie gefunden? Geht es darum?« Als Ausdruck ihrer Sorge beugte sie sich ein
wenig vor.
»Nein, Ms
Duffy«, sagte ich. »Wir rollen ihren Fall neu auf. Haben Sie irgendeine Idee,
was ihr passiert sein könnte?«
»Ach, Mary ist
tot«, sagte Duffy nüchtern. »Mary war an dem Tag tot, an dem sie verschwunden
ist. Das habe ich schon immer gewusst.«
»Und woher?«,
fragte Williams und lächelte unsicher.
»Das weiß man
einfach. Wir waren eng befreundet. Ich habe für sie auf die Kinder aufgepasst,
wenn sie … Sie wissen schon, wenn sie gearbeitet hat.« Sie brach die Spitze
ihrer Zigarette ab und legte die ungerauchte Hälfte in den Aschenbecher neben
sich. »Möchten Sie sie sehen?«, fragte sie und stand auf, ehe wir Gelegenheit
zu einer Antwort hatten. Sie ging zu einem schweren Mahagonischrank in einer
Ecke des Zimmers und öffnete ihn. Zum Vorschein kamen Regalbretter voller
Bücher und Fotoalben. Duffy blätterte ein, zwei Alben durch, bis sie das Bild
fand, das sie suchte, entnahm es dem Album und gab es Williams, die es
betrachtete und an mich weiterreichte. »Das ist sie mit den Kindern«, sagte
Duffy. Sie stand neben mir und hatte den Kopf schräg gelegt, um das Bild in
meiner Hand ansehen zu können.
Es stammte
offensichtlich aus derselben Serie wie das, das wir bereits kannten. Im
Hintergrund türmten sich graue Wolkenmassen, doch das tat der sonnigen Stimmung
der drei Personen auf dem Foto keinen Abbruch. Mary Knox saß immer noch auf der
Betontreppe, die zum Strand hinabführte, doch auf diesem Bild wurde sie von
ihren Kindern eingerahmt. Sie war offensichtlich eine attraktive Frau gewesen.
Unter dem großen weißen T-Shirt, das sie trug, war ein schwarzer Badeanzug zu
erkennen.
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