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Borderlands

Borderlands

Titel: Borderlands Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B McGilloway
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aufschrieb.
    Powell saß im Bett, seine dünnen Haare waren
so gelb wie schmutziger Schnee. Sein Gesicht war beinahe gänzlich in sich
zusammengefallen, die Haut wirkte wie Seidenpapier und war nahezu transparent.
Sein Kiefer war schlaff, Speichel rann an seinem Kinn herab. Einige Minuten lang
beobachtete ich ihn schweigend, neugierig, ob seine Vogelbrust sich noch hob
und senkte, doch ich konnte keine Bewegung erkennen.
    Flüchtig
dachte ich, er sei tot, doch dann verdrehte er gespenstisch die Augen und
wandte sich mir zu; der Kopf drehte sich kaum merklich auf dem Kissen. Bei
diesem Anblick schwanden mein ganzer Ärger und meine Empörung dahin. Was für
ein Sieg war das, dachte ich, wenn ein kerngesunder Mittdreißiger einem im
Sterben liegenden Pensionär seine Jugendsünden vorwarf? Dennoch verspürte ich
ein Bedürfnis nach Gerechtigkeit – nach irgendetwas. Irgendwie war Powell in
all dies verwickelt. Ich musste erfahren, welche Rolle er gespielt hatte.
    Ich hielt ihm
die Geburtsurkunde dicht vor die Augen, so dicht, dass ich sogar seinen
schlechten Atem wahrnahm – den Geruch von etwas Dauerhafterem als Hunger –
Stillstand.
    »Wussten Sie,
dass sie Ihre Tochter war? Mary Knox’ Mädchen? Hat sie es Ihnen erzählt?«
    Seine Augen
wandten sich von mir ab, sein Gesicht versteifte sich, und er starrte die
geblümten Vorhänge an, die beinahe bis zum Boden reichten und die strahlend
leuchtende, gefrorene Welt draußen hielten.
    »Sie haben
zugelassen, dass sie in ein Waisenhaus gekommen ist«, sagte ich. »Weiß Ihr Sohn
davon? Haben Sie ihm von Ihrer Prostituierten erzählt, Mr Powell? Und was ist
mit Ratsy Donaghey? Was verbindet Sie mit dem? Wussten Sie, dass er sie
ermordet hat?«
    Er sah mich
immer noch nicht an, doch ich bemerkte, dass seine Augenwinkel sich röteten und
ihm eine Träne über die Wange rann. Mir dämmerte, wie sinnlos meine Worte
waren. Wütend über meine Verlegenheit beugte ich mich dicht zu ihm.
    »Wenn ich
herausfinde, dass Sie irgendwas mit ihrem Tod zu tun hatten, Mr Powell, dann
nagele ich Sie dafür fest, das garantiere ich Ihnen. Politiker hin oder her,
alles Geld der Welt kann Sie dann nicht retten.«
    Ich wandte
mich um und stand Miriam Powell gegenüber. Ihr Gesicht war leicht gerötet;
offenbar war sie gerannt. Hinter ihr stand mit besorgter Miene Mrs MacGowan.
    »Du schreckst
wirklich vor nichts zurück, Benedict«, sagte Miriam, das Gesicht angewidert
verzogen.
    »Das ist eine
Polizeiangelegenheit, Mrs Powell«, sagte ich.
    »Das stimmt
doch nicht, Ben. Das ist irgendein trauriger … ich weiß auch nicht. Irgendein
Versuch, deine Unzulänglichkeit zu kompensieren«, fauchte sie.
    »Dein
Schwiegervater hatte eine Affäre mit einer Prostituierten, Miriam. Er hat ihr
Kind gezeugt, und dann hat er zugelassen, dass dieses Kind ins Waisenhaus kam,
als seine Geliebte verschwand. Sie wurde von jemandem ermordet, der für ihn
arbeitete. Er könnte etwas über ihren Tod wissen. Das ist eine
Polizeiangelegenheit«, wiederholte ich. Ich sprach so laut, dass Mrs MacGowan
alles mit anhören konnte, und es bereitete mir ein gewisses Vergnügen, sie
erbleichen zu sehen, als sie begriff, dass kultivierte Menschen ebenso
ungestraft – wenn nicht noch ungestrafter – Böses tun konnten wie die Menschen
außerhalb ihrer gesellschaftlichen Kreise.
    »Ich möchte,
dass du gehst, bitte«, sagte Miriam. »Mein Mann wird sich mit dir in Verbindung
setzen, wenn er nach Hause kommt.« Sie wandte den Blick ab, doch im Vorbeigehen
hörte ich sie sagen: »Du tust mir leid, Benedict, du bist erbärmlich.«
    Ich warf ihr
einen Seitenblick zu, doch sie ging einfach zu ihrem Schwiegervater, setzte
sich auf den Rand seines Bettes, nahm seine Hand und strich ihm über die Haare,
die ihm an der Kopfhaut klebten.
    Ich ging aus dem Heim zum Flussufer und
blickte im immer dichteren Schneefall hinüber zu der Stelle, an der man Angela
Cashell gefunden hatte.
    Ich hatte den Fall von Anfang an schlecht
gehandhabt. Nun blieb mir nur dies: Entweder war es Powell oder es war
Costello, der in die Ermordung von Mary Knox verwickelt war. Costellos Motiv
hätte Rache oder Eifersucht sein können; er hatte Donaghey sicherlich gekannt
und hätte als Polizist möglicherweise Druck auf ihn ausüben können. Powell war
Donagheys Chef bei IID und im ›Three Rivers Hotel‹
gewesen. Außerdem war Powell ebenfalls Knox’ Liebhaber gewesen, allerdings
hatte er kein erkennbares Motiv dafür, sie zu töten. Offen gesagt hatte

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