Borderlands
der Schnee das Licht reflektierte. Die
Schneeflocken fielen dicht und stetig, ein kontinuierliches hypnotisches
Muster.
Als ich zu
Ende geraucht hatte, lüftete ich und zündete eine Kerze an. Da ich sonst nichts
zu tun hatte, blätterte ich die Unterlagen durch, die ich aus der Polizeiwache
mitgenommen hatte.
Irgendwann
nach meiner vierten Zigarette an der Hintertür und meiner zweiten Tasse Kaffee
las ich die Liste der Neuzugänge des Jahrgangs 1992 im
Templeton-Ausbildungszentrum. Nur siebenundzwanzig der hundertfünfzig Namen
gehörten Frauen. Inmitten all der Namen entdeckte ich Aoibhinn Knox. Aber erst
als ich die Liste aus reiner Langeweile ein zweites Mal überflogen hatte, fiel
mir ein weiterer Name auf, und plötzlich glaubte ich zu wissen, wie Coyle von
der Diebesgutliste erfahren hatte, wer ihr geholfen hatte, Donaghey zu töten,
und wer Sex mit Cashell gehabt hatte, bevor man ihre Leiche entsorgt hatte. Und
mir ging auf, wer der Fahrer des blauen Wagens gewesen sein musste, den man vor
ihrem Haus gesehen hatte. Jason Holmes war in Templemore einer von Aoibhinn
Knox’ Kollegen gewesen. Und was hieß das für Coyles Bruder »Sean Knox«? War er
auch darin verwickelt? Oder war Holmes ihr einziger Komplize? Konnte Holmes ihr
Bruder sein? Hatte er einen neuen Nachnamen angenommen – vielleicht ein
sarkastisches Wortspiel mit den Homophonen Holmes und homes ,
den Heimen seiner Kindheit? Oder waren solche Überlegungen und Verwicklungen
nur der Stoff, aus dem die Kriminalromane sind?
Als ich erneut
über den Fall nachdachte, schien sich alles auf beunruhigende Weise
zusammenzufügen. Holmes war immer auf dem letzten Stand der Ermittlungen. Er
hatte McKelvey auf dem Video identifiziert und das Band angehalten, ehe man
hätte sehen können, wie der fragliche »McKelvey« auf die Damentoilette gegangen
war. Er hatte die Aussagen in den Lokalen aufgenommen. Er hatte die Nacht, in
der McKelvey angeblich eine Überdosis genommen hatte, auf der Polizeiwache
verbracht. Durch seine Mitarbeit beim Dubliner Drogendezernat hätte er ja
vermutlich sogar Zugang zu den Tabletten gehabt, die sowohl Cashell als auch
McKelvey getötet hatten. Er hatte mich ganz bewusst an meinen Übergriff auf
McKelvey erinnert und mich damit in seine Misshandlung des Jungen
hineingezogen. McKelveys gebrochene Finger fielen mir wieder ein. Was, wenn
Holmes den Jungen gezwungen hatte, die Ecstasy-Pillen zu schlucken? Holmes
hätte ihn durchsuchen sollen, doch scheinbar war es McKelvey gelungen, das E in
die Zelle zu schmuggeln. Am meisten beunruhigte mich, dass Holmes eine
Beziehung mit Williams begonnen hatte, sobald man ihn suspendiert hatte;
vermutlich hatte er sie nach unseren Funden und Fortschritten ausgefragt. Er
hätte Coyle über jeden unserer Schritte auf dem Laufenden halten können, auch
darüber, dass wir von der Verbindung zu ihrer Mutter wussten. Plötzlich sah
das, was ich bislang für schlechte Polizeiarbeit von Holmes gehalten hatte,
wesentlich finsterer aus.
So schnell ich
konnte, zog ich mich an und lief hinaus in den Schnee. Für die Fahrt zu Holmes’
Haus benötigte ich beinahe zwanzig Minuten. Als ich dort ankam, war sein Auto
nirgends zu sehen. Das Haus war dunkel, die Rollos hochgezogen. Ich tastete in
der Tasche nach meiner Waffe und beschloss, auf Holmes’ Rückkehr zu warten.
Dann überlegte ich es mir anders – vermutlich war er bei Williams. Also fuhr
ich zu ihr, doch in der Einfahrt stand nur ihr eigenes Auto. Als am Horizont
schon der Morgen dämmerte und die Schneeflocken violett einfärbte, fuhr ich
schließlich zur Wache zurück, um auf Unterstützung zu warten.
Ich war um acht Uhr dreißig dort, gerade
rechtzeitig, um den Postboten zu treffen. Beim Eintreten sah ich die Post durch
und schaltete das Licht ein. Ich fand drei Briefe für mich, warf den Rest auf
Burgess’ Schreibtisch und ging in unser Büro. Unterwegs befüllte ich die
Kaffeemaschine.
Der erste
Brief, den ich öffnete, stammte vom General Registrar, dem zentralen
Personenstandsregister, und enthielt die Geburtsurkunden der beiden
Knox-Kinder. Ich hatte völlig vergessen, dass ich sie angefordert hatte. Als
ich die Urkunden überflog, tauchte erneut Tommy Powells Name auf: Diesmal war
er als Vater von Aoibhinn Knox aufgeführt.
In Finnside angekommen, winkte ich Mrs
MacGowan in ihrem gläsernen Büro zu, blieb jedoch nicht stehen. Aus dem
Augenwinkel sah ich, dass sie aufstand, um meine Aufmerksamkeit zu erregen, und
dann hastig etwas
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