Borderline ein Narco-Thriller
Straßen verhungert. Dann schickten wir ihnen in den Zwanzigern und Dreißigern eine unverhoffte Entwicklungshilfe: Opium. Plötzlich wollte jeder das Zeug haben, rauchen, spritzen. Ärzte verschrieben es massenweise, und mit Schmuggel und Schwarzmarkt wurden viele reich, sehr reich. Und woher kam das Zeug? Aus ihrer Heimat. Optimale klimatische Bedingungen und ein Gebiet, so abgeschieden vom Rest des Landes, dass sich Polizei und Armee dort kaum blicken ließen. Die Locandos gehörten zu den ersten
gomeros
, also, Mohnpflanzern, die damit anfingen. Und damit zu den größten Profiteurendes hereinströmenden Dollarsegens. Hectors Großvater war ein schlauer Kerl, der sah, was Schmuggler für die von ihnen gelieferte Mohnpaste einsackten. Er fand, dass ihr Anteil viel zu niedrig war im Vergleich zu den Summen, die von den Händlern eingestrichen wurden. Und so begannen die Locandos, ihr Geschäft zu diversifizieren. In den Dreißigern zog Hectors Großvater in Richtung Norden, gen Absatzmarkt, errichtete Stützpunkte, an denen die erzeugte Mohnpaste gelagert und später in Heroin umgewandelt wurde. Von dort wurde die Ware dann bis zur Grenze transportiert, wo die Gringos sie für den Vertrieb in den Vereinigten Staaten übernahmen.“
„Und es gab keine Probleme mit konkurrierenden Kartellen?“ Claire denkt an die seit Jahrzehnten andauernden Fehden im Nachbarland.
Jack schüttelt den Kopf. „Das alles gab es damals nicht mal im Ansatz. Es existierten einfach keine Organisationen, die mit der Drogenmafia heutiger Bauart vergleichbar wären. Das war quasi die Entstehungsgeschichte des heutigen Drogenhandels. Die Leute waren bemüht, ihre Geschäfte ohne Probleme am Laufen zu halten. Und wenn es doch welche gab, dann wurden sie meist mit einer Summe X gelöst. Man könnte sagen: goldene Zeiten.“ Jack greift nach dem letzten Churro, knabbert an der Kruste. Dann fährt er nach einem kurzen Räuspern fort: „Als Hector Ende der Sechziger in das Geschäft einstieg, war es ein gänzlich anderes Business. Alle wollten auf einmal Kokain. Die Locandos verfügten über enge Verbindungen nach Kolumbien. Die Anbieter aus Medellín und Cali expandierten damals stark in Richtung Norden und waren sehr an Partnern mit guten Vertriebswegen interessiert. Wir wissen nicht warum, aber die Kolumbianer zeigten überaus großes Vertrauen in die Zuverlässigkeit der Locandos. Dadurch wurden Hector und seine Sippe im Verlauf der Achtziger zu einem der Hauptabnehmer von Kokain aus Medellín. Hector residierte mit seiner Familie und einem Dutzend Bodyguards auf einer riesigen Finca nördlich von Hermosillo. Zusammen mit seiner Frau Alejandra, zwei Söhnen und einer Tochter. Diego, ihr Erstgeborener wurde Mitte der Siebziger verschleppt. Wahrscheinlich eine missglückte Entführung, denn wir haben nie wieder was von ihm gehört. Die beiden jüngeren Kinder sind Zwillinge, Maria und Arturo. Sie leben noch.“
Claire beißt ein Stück von ihrem Churro ab, schaut ihn dabei abwartend an.
„Wie gesagt, mit Hector stieg die Familie zu einem Big Player auf. Aber mit ihm begann auch ihr Abstieg. In den späten Achtzigern entschlossen sich die Kolumbianer schließlich doch, die Kartelle zu zerstören. Hectors Nachschub begann zu stocken, und statt sich anderweitig zu orientieren, legten die Locandos eine Denkpause ein. Das wurde ihnen zum Verhängnis, denn plötzlich begannen ganz andere, auf dem Markt aktiv zu werden. So verlagerte sich der Handel weg von den Locandos. Und das bedeutete schlicht mehr Geld, mehr Männer und mehr Waffen für ihre Feinde. Dazu kam, dass die Familie zwischen zwei mächtigen Kartellen eingezwängt war. Die Bajas am Pazifik, und Richtung Osten das Sinaloa-Kartell in Juarez. Sie engten die Familie immer weiter ein, bis denen als
plaza
bloß noch die Wüste blieb.“
„
Plaza?
“
„Narco-Slang für Korridore, über die sie ihre Drogen in die USA schmuggeln. Vom Westen her beanspruchten die Bajas ein Gebiet bis über Mexicali hinaus. Und von Osten verdrängten sie die Gangster aus Sinaloa von ihrem wichtigsten Grenzübergang in Nogales. Das ging schon damals natürlich nicht ohne Waffen. Hector hatte keine Chance. So zog er sich auf die Kontrolle des abgelegenen Grenzgebiets der Wüste zwischen Arizona und Mexiko zurück. Wäre das damals ein Gebiet mit Potenzial gewesen, sie hätten ihn auch von dort verjagt. Das Ende kam aber auch so. Anfang 2007 wurden er und seine Frau von einer Straßenbombe erwischt, als ihr
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