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Bordeuax

Bordeuax

Titel: Bordeuax Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Torday
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Verhandlungsgegenstand.
Wahrscheinlich würden sie in den nächsten Tagen irgendeinen Entführungsversuch
unternehmen, überlegte ich; deswegen rief ich über Satellitentelefon in London
an, erklärte meinen Vorgesetzten die Lage, und wir beschlossen, dass es besser
wäre, erst mal für ein paar Tage nach Bogota zurückzukehren, um mich aus der
Schusslinie zu ziehen.
    Allerdings war noch etwas anderes in
Medellin passiert, etwas, das mich sehr verstört hatte, an das ich mich aber
nicht erinnern konnte. Es gab nur einen Geruch und das Gefühl, dass irgendetwas
oder irgendjemand sich ständig am Rand meines Blickfeldes bewegte.
    Auf der Fahrt vom Flughafen zum
Hotel blieb mein Taxi unterwegs vor einer roten Ampel stehen; es klopfte wild
an die Fensterscheibe, beinahe hätte ich einen Herzinfarkt bekommen. Es war
nur eines der vielen Straßenkinder, die Pall-Mall-Zigarettenstangen anboten,
geschmuggelte oder gefälschte. Wir glitten den Berg hinauf, der aus dem
Stadtzentrum herausführte, zum Bogota Plaza Hotel, das Pflaster war rutschig
vom Regen, und die Scheinwerfer der entgegenkommenden Autos spiegelten sich darin.
    Instinktiv ließ ich den Fahrer ein
paar hundert Meter vor dem Hotel anhalten. Ich wollte zu Fuß weitergehen; ich
wollte sehen, ob ein anderes Taxi oder ein Auto hinter mir stehen blieb oder ob
mir jemand folgte. Es war nicht mehr weit zum Hotel, ein einigermaßen sicheres
Stadtviertel, und die Straßen waren meistens belebt.
    Ich stieg aus, bezahlte den Fahrer,
holte meine Tasche aus dem Kofferraum und ging eine der Straßen entlang, die
parallel zur Allee verlaufen, die in einem kleinen Park auf der Rückseite des
Hotels endet.
    Die Straße war eigentlich ziemlich
verlassen, doch plötzlich vernahm ich eilige Schritte. Aufgeschreckt sah ich
mich um. Es war niemand hinter mir. Ich ging weiter und blieb dann wieder
stehen. Vor mir, in der Mitte der Straße, war ein Kanaldeckel. Ich ging in der
Mitte der Straße, vermied ihre schattigen Ränder, als sich der Gullydeckel
anfing zu drehen. Eine Sekunde später wurde er aus der Fassung gestemmt und zur
Seite geschoben. Zwei kleine, stark verschmutzte Kinder, in Lumpen gekleidet,
kletterten hervor. Noch mehr Straßenkinder: angeblich lebten Tausende in der
Kanalisation der Stadt. Gelegentlich stöberte die Polizei sie auf, sonderte einige
wenige von ihnen aus, worauf die übrigen wieder in der Kloake untertauchten,
dorthin, wo kein Mensch ihnen folgen würde. Die beiden krochen auf die Straße,
entdeckten mich, befanden, dass ich keine Gefahr darstellte, näherten sich mir
mit ausgestreckten Händen und bettelten um Geld. Sie sprachen ein paar Wörter,
ein Patois aus Indianisch und Spanisch, das ich nicht begriff, aber es war
klar, was es besagte.
    Gerade holte ich einen Schein hervor
und wollte ihnen das Geld geben, als sich eines der Kinder umguckte und sagte: »Quien vierte detrds de ese hombre?«, und das andere antwortete: »No me gusta la pinta que tiene. Vdmonos.«
    Die beiden rannten fort in die
Dunkelheit, ohne das Geld zu nehmen, das ich ihnen hinhielt. Ich spürte den
Geruch von Moder und Fäulnis in der Nase, und aus den Augenwinkeln erkannte ich
den Zipfel eines dunklen Kleidungsstücks. Jetzt setzte sich auch die Bedeutung
dessen, was die Kinder eben gesagt hatten, in meinem Kopf zusammen: »Wer geht
denn da hinter dem Mann her? Der sieht verdächtig aus. Los, wir verschwinden
lieber.«
    Rasch drehte ich mich um und lief in
die Arme des Menschen, der mir gefolgt war.
     
    Die Person, gegen die ich stieß,
bekam meinen Ellbogen zu fassen und hielt mich fest. »He!«, sagte sie. »Immer
mit der Ruhe!« Es war Colin. Er ließ meinen Ellbogen nicht los und geleitete
mich zum Straßenrand, zurück auf den Bürgersteig.
    Ich kam mir vor wie aus Zeit und
Raum gefallen. Ich wusste nicht mehr, wer ich war, noch, wo ich gerade gewesen
war.
    Wieder sagte Colin etwas, und der
Klang seiner Stimme wirkte beschwichtigend. »Was hast du dir dabei gedacht?«,
fragte er. »Einfach mitten auf der Straße zu gehen! Hinter dir stauten sich
schon die Taxis und haben laut gehupt. Es hätte nicht viel gefehlt, und sie
hätten dich überfahren. Schon vergessen? Wir sind heute Nachmittag
verabredet.«
    Ich hatte es tatsächlich vergessen,
und dankbar folgte ich Colin bis zu meiner Haustür in der Half Moon Street.
Mein Herz raste immer noch, von dem Zusammenstoß mit ihm, ich musste mit offenen
Augen geträumt haben. Er half mir bei der Suche nach meinem Schlüssel,

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