Bordeuax
würde
man sich umgehend an mich wenden. Ein persönliches Treffen wurde nicht
vorgeschlagen.
Es folgten noch mehr Briefe in
diesem Ton und mit diesem Inhalt. Kein Unternehmen meldete unmittelbaren
Bedarf meiner Dienste an. Einer der Adressaten machte immerhin das Angebot,
sich irgendwann zum Lunch zu treffen, nannte aber keinen Termin; ein anderer
schrieb, sie seien personell im Moment komplett eingedeckt, suchten aber
möglicherweise im kommenden Jahr neue Mitarbeiter. Das waren noch die
positivsten Antworten, die ich bekam. Die übrigen waren höflich, aber wenig
hilfreich. Nur ein Einziger der Angeschriebenen rief mich persönlich an, der
leitende Direktor eines ehemaligen Konkurrenzunternehmens.
»Tja, das Feld gehört heute den
jungen Leuten«, sagte er. »Einige unserer Programmierer sind gerade mal dem
Teenageralter entwachsen. Es ist wie beim Tennis: Mit dreißig gehört man zum
alten Eisen. Aber bleiben Sie in Kontakt, Wilberforce. Man kann nie wissen,
vielleicht ergibt sich ja doch etwas.«
Auch Christie's meldete sich bei
mir. Irgendein Ben rief mich an, um mir mitzuteilen, er habe den Wein im Keller
von Caerlyon taxiert.
»Ach, ja?«, sagte ich. »Was halten
Sie davon? Eine tolle Sammlung, finden Sie nicht?« Ben antwortete: »Ja, ein bisschen
zusammengewürfelt. Es ist gar nicht so einfach, den Wert zu ermitteln.« Er
klang zögerlich.
»Ich dachte, das wäre ganz einfach«,
sagte ich. »Ich bin immer davon ausgegangen, dass er den meisten Wein auf
Auktionen bei Ihnen gekauft hat.«
»Nein«, sagte Ben. »Ihr Makler hat
mir schon gesagt, dass Sie dieser Ansicht sind, aber Mr Black war in letzter
Zeit kein Kunde von uns. Es ist eine kuriose Mischung. Es gibt einige Kisten
mit sehr gutem Wein, allesamt aus den sechziger, siebziger Jahren. Die Neuerwerbungen
danach scheinen mir eher irgendwelcher Krimskrams zu sein. Hat der Weinkeller
in den 80er Jahren mal den Besitzer gewechselt? Danach findet sich kaum etwas
von wirklichem Wert.«
Francis hatte den Keller mit Anfang
vierzig von seinen Eltern geerbt, irgendwann Mitte der achtziger Jahre.
»Ja«, sagte ich. »Ab da hat Francis
zur Sammlung seines Vaters Neues hinzugekauft.«
Ben Ingledew fuhr fort: »Das spätere
Zeug ist, wie gesagt, eine seltsame Mischung. Es ähnelt in vielem dem, was man
erfahrungsgemäß bei Insolvenzen oder Haushaltsauflösungen so angeboten
bekommt. Hiervon ein bisschen, davon ein bisschen. Aber auch ganz seltsame
Posten darunter, australische und bulgarische Rotweine, die, ehrlich gesagt,
innerhalb eines Jahres hätten getrunken werden müssen, wenn überhaupt.«
Was redete der Mann da? Der hatte ja
keine Ahnung. Das ärgerte mich. »Ich glaube, Francis war seinerzeit einer der
größten Experten und Sammler, der sich auf Bordeauxweine spezialisiert hat.«
»Mag sein. Bestimmt verstand er sehr
viel von Wein«, sagte Ben Ingledew. »Auf jeden Fall finden sich Reste von
sicherlich sehr guten Weinen in dem Keller. Aber fast alle Kisten sind angebrochen,
und das meiste ist getrunken. Zum Beispiel haben wir einige Flaschen 74er
Petrus gefunden, einige Kisten 78er Trotanoy, und sechs Flaschen 53er Cheval
Blanc. Aber man hätte eben auch gerne einige jüngere Jahrgänge und die
klassischen ersten Gewächse gefunden, was man von einer modernen Weinsammlung
eigentlich erwarten darf. Es gibt so gut wie keine Premiers grands cms classes. Keinen Le Pin oder Le Dome oder Latour. Kein Angelus
oder Palmer oder Ausone. Nicht mal allzu viele anständige dritte oder vierte
Gewächse. Andererseits gibt es einiges, was nicht mal die besseren Supermärkte
auf Lager hätten. Ich will nicht alles schlecht reden. Es sind da einige Kisten
mit ganz guten Sorten, sogar manchen wirklich außergewöhnlichen Flaschen
darunter, die vor sehr langer Zeit gelagert worden sein müssen ...« Vor lauter
Verlegenheit versiegte seine Stimme.
Offenbar hatten sie einen jungen
Auszubildenden losgeschickt, um den Wein zu schätzen, jemanden, der von der
Sache nichts verstand. Ich war genervt.
»Was meinen Sie? Wie viel ist der
gesamte Bestand wert?«, fragte ich ihn.
»Es sind ungefähr fünfhundert
Holzkisten mit Wein und noch mal ungefähr tausend Flaschen in den Regalen.
Insgesamt etwa siebentausend Flaschen.«
Ich unterbrach ihn. »In dem Keller
stehen mindestens hunderttausend Flaschen.«
»Oh«, sagte Ben. »Dann ist mir etwas
entgangen. Ich schicke Ihnen das Bestandsverzeichnis mit der Post zu. Es muss
noch einen anderen Keller geben, oder? Wir haben
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