Bordsteinkönig: Meine wilde Jugend auf St. Pauli (German Edition)
dass man es weiß. So eine Freundschaft hatte ich mit Ümet. Deswegen hatte er mich wohl auch zu den Breakers geholt. Er mochte mich einfach – vom ersten Augenblick an. Es war eine besondere Zeit mit ihm. Er hatte in mir einen Gesprächspartner gefunden, der ihm nicht ständig beweisen wollte, wie cool er war, oder wie stark, und der seine Religion, Philosophie oder Gedanken in Frage stellte. Das Wort »cool« gab es nicht in unserem Wortschatz. Andere Wörter waren tabu. Wir wollten zwar harte Jungs sein, aber Wörter wie »ficken«, »bumsen« oder »geil« nahmen wir kaum in den Mund. Die Hemmschwelle war noch viel höher als heute. Zigaretten, Alkohol und Drogen spielten (zumindest anfangs) keine Rolle. Wir lehnten das alles sogar ab. Wir empfanden es als ein Zeichen von Schwäche. Unser Ethos war sehr idealistisch und romantisch. Wir interessierten uns für Kampfsport. Wir wollten stark, gut und schön aussehen, gewappnet sein im Kampf gegen die bürgerliche Gesellschaft, die wir zu unserem Feind erklärt hatten.
Die Struktur der Breakers war locker und dabei doch auch recht militärisch und hierarchisch. Es gab keine Mutproben oder Initiationsriten. Es gab die Aktiven, die Schläger und Starken und solche, die nur Mitläufer waren. Und es gab die, die was zu sagen hatten. Der Vizechef der Breakers war Ümets Bruder. Er sah mit einer Popperfrisur aus wie ein Student.
Wir unterhielten uns über Frauen, Kampfsport und Musik. Soul war für uns die Musik der Unterdrückten. Es war die Zeit des Kalten Krieges, die Zeit des NATO-Doppelbeschlusses. 1982 – Schmidt ging, Kohl kam. Doch Politik spielte für uns keine Rolle. Wir interessierten uns stattdessen für Breakdance, der damals in Mode kam. Für Ümet war die Tanzfläche seine Bühne, er war ein starker Tänzer. Wir trafen uns häufig mit anderen Gangs auf dem Heiligengeistfeld. Wo sonst dreimal im Jahr der Hamburger DOM stattfand, wurden dann Breakdance-Wettbewerbe ausgetragen. Oder wir gingen in Jugendzentren, um zu tanzen. Die Moves hatten wir uns selbst beigebracht, wir hatten sie uns aus Filmen und Videos abgeschaut. Wir waren ein Generation von Autodidakten. Wir hatten gelernt zu lernen und wir waren hungrig.
7 Die Breakers lassen grüßen
G leich an meinem ersten Tag ging es los bei den Breakers. »Jungs, ihr wisst Bescheid«, rief uns Ümet mit eindringlicher Stimme zu. »Wir gehen nach Eimsbüttel und machen die Typen klar.« Alle nickten. Ich hatte keine Ahnung, worum es ging. Aber natürlich ging ich mit. Ich wollte ja keinen schlechten Eindruck machen. Vor allem nicht bei Ümet. Wir machten uns auf den Weg nach Eimsbüttel, nördlich von St. Pauli. Die anderen erzählten mir, dass wir auf dem Weg zu einem McDonald’s waren, vor dem wohl ein paar Jungs herumlungerten, denen wir einen Besuch abstatten wollten, weshalb auch immer.
Immer wieder stießen neue Leute zu uns, so dass wir schließlich mit einer Meute von rund dreißig Jungs durch die Straßen zogen. Mich befiel ein starkes Glücksgefühl, als ich zwischen den anderen Breakers marschierte. Ich fühlte mich stark, mächtig und anerkannt. Die Älteren nahmen mich mit, vertrauten mir offensichtlich. Meine Eltern wussten gar nicht, was Vertrauen bedeutete. Passanten beäugten uns mit ängstlichen Blicken. Dreißig junge Typen in Bomberjacken. Meine Brust schwoll an. Wut stieg in mir auf. Ich war berauscht. »Lass uns die richtig vorn Kopp haun«, rief einer. »Wir zeigen heudde, wer die Breakers sind«, rief ein anderer. Wir schaukelten uns gegenseitig hoch. Jeder wollte sich beweisen in dem anstehenden Kampf. Auch ich war fest entschlossen mitzumachen.
Einer der Jungs trug einen dieser fetten Ghettoblaster auf den Schultern. Soul und Funk krachten aus den Boxen – unsere Party- und Schlachtmusik. Die Musik der Gangs: Black Music von Kool & the Gang, Fatback, der S.O.S Band, der Sugarhill Gang oder Gil Scott-Heron. Die Musik, die in den Kneipen und Läden auf St. Pauli gespielt wurde. Die Musik der unterdrückten Schwarzen in den nordamerikanischen Ghettos, denen wir uns im Geiste verbunden fühlten. Auch wir sahen uns ja als Kinder des Ghettos, die sich gegen das spießige Establishment auflehnten. Soul war ehrlich, lässig, hatte Groove, und er sprach uns aus dem Herzen. Die dröhnende Musik begleitete unseren Marsch. Sie peitschte uns an, trieb uns voran.
Dann, endlich, erreichten wir unser Ziel: McDonald’s in Eimsbüttel. Drei, vier Jungs hingen davor ab. Auch sie waren
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