Bordsteinkönig: Meine wilde Jugend auf St. Pauli (German Edition)
gab ihm sogar noch Feuer. Dann sagte Ümet: »Habt ihr vielleicht mal ein bisschen Geld? Money?« Ümet grinste. In diesem Augenblick verstand ich. Die Engländer verstanden auch. Alles ging blitzschnell. Einer der Typen zog CS-Gas aus der Tasche. Ümet, Thomas und Hasan konnten nicht mehr ausweichen und bekamen die volle Ladung ab. Die Typen rannten los. Ich stand wie angewurzelt da, während sich die drei die Augen rieben, jammerten und schließlich zu einem Brunnen liefen und ihre Gesichter hineintunkten. »Okay. Hat nicht geklappt«, sagte Ümet. »Kann passieren. Lasst uns nun nach Hause gehen. Jeder für sich. Wegen der Polizei.«
Es mag komisch klingen: aber ich war glücklich. So einen Tag hatte ich noch nie erlebt, so etwas Aufregendes. Ich kam mir vor wie ein Filmstar. Ich gehörte zu einer Gang, zu einer richtigen Gang. Ich war ein BREAKER!
8 Wladimir und der politische Untergrund
E s war eine aufregende Zeit für mich, als ich zwölf Jahre alt war. Ich lernte Leute kennen, die mich mit verschiedenen Welten bekannt machten. Während Fritz mein Begleiter wurde, wenn es darum ging, die Rituale der Männlichkeit auszutesten, lernte ich bald jemanden kennen, der mich mit einer ganz anderen Welt bekannt machte. Wladimir war schon von mehreren Schulen geflogen. Er kam nirgendwo wirklich klar. Seine antiautoritäre Erziehung hatte ihm schon früh Probleme bereitete. Den Lehrern gelang es einfach nicht, ihn unter Kontrolle zu bekommen. Schließlich kam Wladimir zu uns. Weil er das Schuljahr vergeigt hatte, musste er noch eine Ehrenrunde hinlegen und landete in meiner Klasse.
Wladimir hatte blonde Haare, war so groß wie ich und trug lustige Hippieklamotten. Das Erste, was er uns beibrachte, war: I don’t know. »Heißt, leck mich am Arsch«, sagte er stolz. Da wir noch kein Englisch hatten, glaubten wir ihm. Auf englische Schimpfwörter waren wir ohnehin scharf. Als dann das erste Mal unsere Englischlehrerin vor uns trat und fragte, welche englischen Wörter wir denn schon kennen würden, sagten wir ganz stolz im Chor: »I don’t know.« Natürlich verfehlte der Satz seine Wirkung. »Schon nicht schlecht«, sagte die Lehrerin. Fritz und ich schauten Wladimir fragend an. Aber der grinste nur.
Wladimir hatte bei seiner Reise durch die Klassen und Schulen nicht sonderlich viel gelernt. Aber er brachte eine neue Qualität der Unterrichtssabotage mit. Weil Wladimir dafür bekannt war, den Unterricht möglichst effektiv zu stören, saß sogar seine Mutter in den ersten Tagen hinten in der Klasse und beobachtete uns mit strengem Blick. Eine unserer liebsten Sabotagemethoden war es, so laut wie möglich zu schreien, sobald die Lehrer den Klassenraum betraten. Wir hörten erst damit auf, wenn uns die Puste ausging. An jeder anderen Schule wären wir hochkant geflogen, aber nicht an unserer. Dort hatte man ein Herz für Revoluzzer und seltsame Vögel. Zu meinem großen Glück, wie sich später herausstellen sollte.
Waldimirs Mutter war Mitglied im Kommunistischen Bund. Außerdem war sie Unternehmerin (Sachen gibt’s!). Mit ihrem Partner betrieb sie eine Druckerei. Mit dem Geld finanzierten sie irgendwelche dubiosen linksradikalen Projekte. Es floss wohl auch Geld in die PKK, die Arbeiterpartei Kurdistans, der man sich als Linker in den Achtzigern verpflichtet fühlte.
Die rote Gesinnung seiner Eltern war auch der Grund für Wladimirs Namen. Eine Hommage an den russischen Revolutionär Wladimir Iljitsch Uljanow, genannt Lenin. Aufgrund seines roten Hintergrunds hatte Wladimir bei unseren Lehrern von Beginn an einige Pluspunkte. Schließlich galt unsere Schule ja als kommunistische Kaderschmiede. Einige unserer Lehrer waren in der KPD gewesen und hatten deswegen zeitweise Berufsverbot. Die Hamburger Kommunisten hatten ein Herz für schwierige Fälle, sie kannten sich untereinander, und so war Wladimir bei uns gelandet. Als seine Mutter schließlich ihre Aufsicht einstellte, zündete sich Wladimir erst einmal eine Zigarette an – während des Unterrichts. Was für ein Spaßvogel, dachte ich. Wir wurden Freunde und verbrachten viel Zeit miteinander. So lernte ich auch Wladimirs Eltern kennen, die in einer linken Kommune mit sechs, sieben anderen Genossen lebten. Wladimir war ständig von linken Debatten umgeben.
Für Wladimirs Eltern war ich ein neuer potenzieller Genosse, den man versuchte auf die richtige, also auf die linke Seite zu ziehen. Wir kannten uns gerade mal eine Woche, da nahmen mich die Genossen schon
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