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Bordsteinkönig: Meine wilde Jugend auf St. Pauli (German Edition)

Bordsteinkönig: Meine wilde Jugend auf St. Pauli (German Edition)

Titel: Bordsteinkönig: Meine wilde Jugend auf St. Pauli (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulf Meyer zu Kueingdorf , Michel Ruge
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Ich wusste: Die wollen mit uns keinen Plausch bei ’ner Currywurst halten. Aber die Zeit des Abhauens und Wegduckens war vorbei. Ich war bereit.
    Die Typen standen vor uns. Sie waren größer als wir. Ihr Anführer war ein Typ mit dunklen Augenringen und breitem Kiefer. Niemand sagte etwas, wir starrten uns alle nur an, bemüht, dem anderen das Gefühl zu geben, dass er gleich einen großen Fehler machen würde. Mir war klar, dass das nichts Gutes bedeutete. Dann ging alles ganz schnell. Der Anführer holte aus und schlug dem kleinen Michi mit der Faust auf die Brust. Michi stöhnte auf, torkelte, hustete.
    »Scheiße, Mann!«, schrie Ali.
    Ich kam ihm zur Hilfe und fixierte meinen Gegner, der nach seinem gelungenen Treffer gegen Michi grinsend dastand und den Respekt seiner Männer genoss. Konnte ich ihm ernsthaft etwas anhaben? Es war das alte Spiel: David gegen Goliath. Er schien alle Macht zu haben. Jetzt aber würde ich mir die Macht holen! Es war klar: Nun würde ich zuschlagen! Ich würde die Wand durchbrechen. Den Schritt vom Kind zum Mann machen. Mit diesem einen Schlag würde ich es aus mir herausbrüllen: Hier steht ein Mann! Sein Recht ist die Faust! Er quatscht nicht lange, er hält sich nicht auf! Kalle konnte das. Dafür bewunderte ich ihn. Wenn er sich schlug, war er der ehrlichste Mann der Welt. Der Schlag eines Mannes ist etwas Ehrliches. Er ist eine Antwort, auf egal welche Frage.
    Wir standen uns gegenüber. Ich war bereit. Ich wollte ihn klatschen. Es würde klingen wie begeisterter Beifall nach einer Theaterpremiere. Ich wäre ein Held! Er starrte mich an. Ich starrte böse zurück. Die Aura des Unbesiegbaren umgab mich – zumindest glaubte ich das. Alles um mich herum erschien mir nur noch schemenhaft, schwarz-weiße Zerrbilder, extrem verlangsamt. Das Einzige, was meine Ohren noch wahrnahmen, war das dumpfe Pochen meines Herzens. JETZT ODER NIE! Dann bewegte ich mich. So schnell, wie ich es immer wieder in meinen Gedanken durchgespielt hatte. Ein Schritt nach vorne. Ein Schlag. Drei Mal traf ich ihn mitten ins Gesicht. Meine Knöchel schmerzten. Egal! ENDLICH! Ich schlug wieder zu, noch fester. Kein Gewissen meldete sich. Nur das Gefühl der Erleichterung und noch mehr das des Glücks. Ich begann zu tanzen, ich schwebte wie Bruce Lee. Ein Sidekick. Er wich zurück. Ein Fausthieb. Er wich wieder zurück. Er nahm Anlauf, packte mich an den Beinen und stemmte mich hoch. Er versuchte, mich auf die S-Bahn-Gleise zu schmeißen. Ich krallte mich an ihm fest. In mir brannte es. Diese Hitze gab mir Kraft.
    Ali, Serkan und Michi standen nur da und schauten uns zu. Alle anderen auch, zum Glück! Ich versuchte mich aus seiner Umklammerung zu befreien, trat nach ihm, schlug nach ihm. Wir gingen zu Boden und wälzten uns auf dem Boden. Schließlich konnte ich seinen Kopf greifen und hielt ihn im Neckbreaker. Mit der linken Hand versuchte er an seine Jackentasche zu kommen. Ein Messer!
    »Serkan! Serkan!«, rief ich. »Tritt ihm ins Gesicht.«
    Die anderen standen immer noch da wie Salzsäulen. Serkan löste sich, holte aus und erwischte den Typ am Hinterkopf. Ich packte sein linkes Handgelenk und schlug es immer wieder auf den Boden, damit er das Messer fallen ließ. Ich hatte ihn immer noch im Würgegriff. Ich ließ ihn los, sprang auf und trat zu. Er lag am Boden, seine Nase blutete. Er atmete schwer. Ich ließ ihn liegen.
    »Abmarsch!«, rief ich und sprang in die offene S-Bahn. Serkan, Ali und Michi dicht hinter mir. Die Türen schlossen sich. Durchs Fenster sah ich, wie er langsam wieder aufstand, gestützt von seinen Leuten.
    »Auf nach St. Pauli!«, schrie ich.
    »Auf nach St. Pauli!«, schrien Serkan, Ali und Michi.
    Ich fühlte mich leicht, so geil leicht. Ich strahlte. Meine Stimme war lauter als sonst. Meine Schultern waren breiter, und ich war um fünf Zentimeter gewachsen. Mindestens! Ich war ein Held. Endlich!
    Es war da, das Gefühl. Es durchströmte mich. Ich hatte es getan, und es fühlte sich gut an. Serkan, Ali und Michi klopften mir anerkennend auf die Schulter. »Mann, Michel«, sagte Serkan. »Dem hast du ordentlich eingeschenkt. Den hast du alle gemacht.« Ich fühlte mich wie ein Vater, der sich schützend vor seine Kinder gestellt hatte. Eine Flamme der Unbändigkeit loderte nun in mir. Gewalt ist wie Feuer! Du kannst es nicht bändigen, wenn es ausgebrochen ist. Hast du die Gewalt einmal gerufen, dann musst du mit den Geistern leben, die die Gewalt beschwört.
    Während meiner

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