Bordsteinkönig: Meine wilde Jugend auf St. Pauli (German Edition)
wir uns kennengelernt hatten, redeten wir über nichts anderes: wie wir uns schlagen könnten, mit wem, wie wir noch härter werden konnten. Wir steigerten uns mit einer Konsequenz und Intensität in diesen Männlichkeitswahnsinn hinein, dass es mir heute noch verrückt vorkommt. Wenn wir kämpften und dabei nicht mit unserem Gegner am Boden rangen, sondern ihn mit Fäusten schlugen, war das ein großer Erfolg. Wir wollten Backpfeifen austeilen und dafür Respekt ernten. Wie unsere Väter. Die schnackten ja auch nicht lange. Da gab es gleich ’ne Schelle, aber vom Feinsten! Für uns waren das richtige Männer. Wir bewunderten sie für ihren Mut und ihre Schlagkraft. Auch wenn ich Kalle sonst nicht verstand, eines habe ich von ihm gelernt: Reden ist Silber, Taten sind Gold. Mit Fritz fand ich den Weg zu der Konsequenz, die ich mir erträumt hatte. Wann immer möglich, gingen wir auf die Straße und schlugen los: Fritz und ich!
13 Es muss klatschen, das Blut muss strömen
I ch war bei meiner ersten Nutte gewesen. Ich war in einer Gang. Ich war ein Mann. Zumindest kam ich mir so vor. Mein Leben verlief gut und war aufregend. Aber zum vollkommenen Glück brauchte ich noch eine Bomberjacke. Alle hatten Bomberjacken. Ohne Bomberjacke war ich kein richtiger Breaker. Wieder fing ich an, meine Mutter zu nerven, wieder gab sie irgendwann nach. Wir machten uns auf nach Altona in die Große Bergstraße und dann zu Paul Hundertmark. Ich wusste ganz genau, was ich haben wollte. Es musste eine amerikanische Bomberjacke sein. Der Stoff durfte nicht zu weich sein. Der Reißverschluss musste eine bestimmte Farbe haben. Meine Mutter hatte für solche Details keinen Sinn. Sie dachte nur an den Preis. Doch schließlich bekam ich sie: eine richtige, feste blaue Bomberjacke.
Zu Hause hängte ich die Jacke auf den Stuhl neben meinem Bett. Vor lauter Stolz machte ich die ganze Nacht kein Auge zu. Immer wieder schaute ich auf die Jacke, befühlte sie und sagte: »Die ist echt. Die ist geil.« Ich hatte eine original Bomberjacke. Ich war ein richtiger Breaker.
Der Stoff war fest. Die Bündchen saßen stramm. Die Passform war sportlich. Der Windfang unter dem Reißverschluss war fünf Zentimeter breit und mit einem Zickzackmuster runter gesteppt. Am linken Ärmel war oben eine Tasche. Man konnte Stifte reintun, oder Geld. Das Innenfutter war orange. Man konnte sie wenden, aber dann sah man aus wie ein Müllmann. Der Reißverschluss musste silberfarben sein. Auf keinen Fall goldfarben. Auf dem Zipper stand: »Ideal«. Der Zipper war schwarz und hatte einen Lederanhänger. Die Jacke gab einem eine gute Figur und das Gefühl, sich frei bewegen zu können. Sie hatte zwei Taschen an jeder Seite. Die benutzte ich nie. Denn, wenn die erst mal ausgebeult waren, gab es kein Zurück mehr. Ihr seichter Glanz symbolisierte Stärke und Lässigkeit. Das sportliche Aussehen der Jacke bedeutete, dass ihr Träger immer bereit war für ’ne Keilerei. Die Polster machten die Schultern breiter. Sie war ein Signal: »Ich gehöre dazu. Ich kämpfe auf der Straße. Ich bin nicht allein.« Sie war unsere Uniform. Ein Mod hatte eine andere Uniform. Er trug seine Modkutte, ein Popper trug seine verweichlichten Mädchenklamotten. Die Skins trugen englische Klamotten. Wir die amerikanischen. Das war klar aufgeteilt. Doch es war nicht immer ganz leicht zu unterscheiden. Denn auch die Skins trugen Bomberjacken, irgendwann trugen sogar die Popper Bomberjacken. Für uns war es das reinste Geschenk. Wir mussten nur nett fragen, und schon rückten die Popper ihre Bomberjacke und ihre neuen Turnschuhe raus.
Als ich am nächsten Tag in die Schule kam, betasteten alle meine Jacke. »Die ist echt, Aller! Sieht gut aus«, meinten die einen. »Die ist nicht echt, die sieht nicht so aus«, meinten die anderen. Mir war das egal, ich war zufrieden. Ich fühlte mich endlich wie ein echter Breaker, ich fühlte mich stark. Die Jacke war meine Rüstung. Noch selbstbewusster als zuvor stolzierte ich nun durch die Schule. Ich genoss es, dass die Jacke meinen Ruf als Schläger unterstrich, auch wenn ich selbst nie etwas dafür getan hatte. Im Gegenteil. Und für den Witz von einer Schlägerei mit Marco schämte ich mich immer noch.
Stolz lief ich mit der neuen Bomberjacke abends über die Reeperbahn. Meist mit einigen Leuten vom Training. Wir gingen in den »Club 88« oder die »Sheila Bar«. Wir stolzierten durch die Läden, als hätten wir Rasierklingen unter den Armen. Wir waren
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