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Bordsteinkönig: Meine wilde Jugend auf St. Pauli (German Edition)

Bordsteinkönig: Meine wilde Jugend auf St. Pauli (German Edition)

Titel: Bordsteinkönig: Meine wilde Jugend auf St. Pauli (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulf Meyer zu Kueingdorf , Michel Ruge
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Zeit in den Gangs habe ich eines gelernt: Wenn du die Gewalt nicht kontrollieren kannst, dann wendet sich die Gewalt irgendwann gegen dich. Sie ist wie Feuer, das sich in alle Richtungen ausbreitet und ständig Nahrung sucht. Dieses Feuer holt sich alles. Es wird immer größer und vernichtet alles, was ihm im Weg ist, auch dich. In mir hatte sich dieses Feuer in dem Moment entzündet, als ich dem Typen ein paar eingeschenkt habe. Es wärmte. Ich brannte! Es war mir gelungen, das Feuer zu kontrollieren. Ich hatte den Typen nicht kaputt gemacht, als er am Boden lag. Anderen gelingt das nicht, sie entfachen gleich eine Feuersbrunst, in der sie später selbst zugrunde gehen.
    Ali, Serkan und Michi brachten die Geschichte auf dem Kiez unter die Leute: in den schillerndsten Farben. Mit der Zeit wurde sie immer größer und gewalttätiger. Aber so sind Legenden nun mal. Sie entwickeln irgendwann ihre eigene Dynamik. Was soll’s. Mir brachte die Nummer eine Menge Respekt ein.
    Vom S-Bahnhof lief ich zurück zum Treffpunkt der Breakers, um den anderen alles zu erzählen. Ich wollte mich feiern lassen. Endlich ein Mann! Ein Kämpfer! Aber der Spielplatz war leer, niemand war da. Also ging ich nach Hause, allein, nur mit meiner Geschichte, in der ich der Held war. Als Held ist man manchmal sehr einsam.

14 Glatzköppe klatschen
    A uf dem Kiez sah man die Gangs nicht gerne. »Solche Gruppen tun nicht not«, hieß es, wenn die Angst bei den Leuten mitschwang. In ihren Augen waren wir Breakers und auch andere nur ein Haufen verwahrloster Jungs. Diejenigen, die im Kiez das Sagen hatten, belächelten uns vermutlich als junge Angeber, denen mal richtig der Kopf gewaschen werden müsste. Aber wir waren überall, und wir waren viele. Man erkannte uns an dem Schriftzug auf dem Rücken unserer Bomberjacken, wir brauchten keine Ausweise.
    Manche der Gangs entwickelten sich zu Schulen, aus denen St. Paulis Unternehmen ihren Nachwuchs rekrutierten. Wir waren ein neuer Unruhefaktor im Kiez, und nicht nur dort. Ende 1984 berichtete der Spiegel unter der Überschrift »Wir nehmen das ganze Land auseinander« von der neuen Gangkultur, die sich in Großstädten wie Hamburg, Essen, München oder Frankfurt zu einem Phänomen entwickelt hatte. Es gefiel uns, dass wir es geschafft hatten und die Presse über uns berichtete. Wir waren berühmt – und berüchtigt! Wir nahmen das ganze Land auseinander! Allerdings hatte der Autor sich gar nicht erst die Mühe gemacht und versucht zu verstehen, wer wir waren und was wir wollten. Stattdessen sah er in uns nur konsumorientierte Schläger aus sozial schwachen Familien, die »einen aggressiven Anschluss an die Gesellschaft« wollten. Manche seiner »Beobachtungen« waren dabei so absurd, dass wir uns nur noch amüsieren konnten. Ohne uns jemals wirklich gesehen zu haben, wusste er: »Witzige Sprüche, die den Spontis zu literarischem Ruhm verholfen haben, fallen ihnen schon deshalb nicht ein, weil sie es schwer haben, sich zu artikulieren.« Bei uns gab es viele, die sich besser artikulieren konnten als die politischen Aktivisten in Wladimirs Kommune. Ich habe in den Gangs sehr intelligente Menschen getroffen, viel mehr als später an der Uni. Sie haben ihr Talent nur anders genutzt. Leute wie Ümet, die treffsicher Menschen, Kunst und politisches Geschehen einordnen konnten – ohne das, was die Normalbürger »Bildung« nannten. Eyhan, der Chef der Champs, hatte ein enormes Talent, Menschen zu führen. Er konnte intelligente Entscheidungen treffen. Er konnte mit allen gut, egal ob Polizeichef oder Richter. Sicher, viele nutzten ihre Talente mit kreativer krimineller Energie. Doch so, wie die meisten von uns aufgewachsen waren, kannten wir es gar nicht anders. Es war der Weg, den wir von Kindesbeinen an als den einen sahen, der zum Erfolg führen kann – zumindest aber als den Weg, der einen überleben ließ.
    Man sollte an Intelligenz nicht nur moralische Maßstäbe setzen!
    Wir waren umgeben vom Diktat der Achtundsechziger. Wir mussten ausbrechen. Wir wollten unseren Eltern nicht wie Gänse hinterherlaufen (diesen Spruch hatte ich immer auf den Lippen, seitdem ihn Romy Schneider in »César et Rosalie« gesagt hatte). Die Achtundsechzig mutierte zu einer moralischen Diktatur der Gutmenschen. Dabei vergaß man, uns Jungen einen kreativen Freiraum zu lassen, in dem wir uns ausprobieren konnten. Wie alle Jugendlichen sehnten auch wir uns danach. Etwas in uns ließ uns keine andere Wahl. Wir wollten

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