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Bordsteinkönig: Meine wilde Jugend auf St. Pauli (German Edition)

Bordsteinkönig: Meine wilde Jugend auf St. Pauli (German Edition)

Titel: Bordsteinkönig: Meine wilde Jugend auf St. Pauli (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulf Meyer zu Kueingdorf , Michel Ruge
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übertrainiert und unglaublich geil auf Keilereien. Wir überschätzten uns maßlos. Wir hatten wirklich Glück. Der Kiez war längst kein Spielplatz für wirre Jugendträume mehr. Er war inzwischen der Vorhof zur Hölle, wo Leute erstochen und erschossen wurden. Als Chinesen-Fritz in der Ritze tödlich getroffen vom Barhocker fiel, veränderte das St. Pauli. Es war der erste Auftragsmord im Kiez. Werner »Mucki« Pinzner war der Erste, der sich einen Namen als Killer machte. Wir hörten zwar all diese Geschichten, aber wir glaubten, sie kämen aus einer anderen, sehr fernen Welt. Wir hielten weiter an unseren wilden Träumen fest, die uns längst zu ihren Sklaven gemacht hatten.
    Gemeinsam mit Zigeuner-Fritz suchte ich eine neue Methode, um härter zu werden. Wir schlugen Scheiben ein, Fensterscheiben, Autoscheiben. Mit dem Kopf und mit der Faust. Ich schlug gegen alles Mögliche, wie ich es bei den Kämpfern im Film gesehen hatte. Anders als meine Helden spürte ich den Schmerz aber sofort, und ich holte mir auch noch blutige Knöchel. Dann entdeckten Fritz und ich, dass hinter den Scheiben oft sehr interessante Dinge lagen. Wir nahmen sie mit. So wurde ich zwar nicht härter, aber pragmatischer. Jetzt schlug ich die Scheiben mit einem Stein ein, um meine Knöchel zu schonen. Die Beute – keine großen Sachen – verkaufte ich abends in den Puffs und auf der Reeperbahn. Das brachte mir die Freundschaft des einen oder anderen Zuhälters ein. Ich verlagerte mein Scheiben-Einschlag-Geschäft auf den Kiez. Denn gerade dort gab es alles, was die Loddel, die Nutten und ich begehrten. Ich war damals ganz scharf auf eine Cerrutti-Jacke. Und ich wusste, wo ich sie bekommen konnte.
    Mirko, der Cousin vom roten Wladimir, hatte Wind von meinem neuen Geschäft bekommen und wollte unbedingt einmal mit dabei sein, bei mir in die Lehre gehen.
    Ein warmer, schöner Sommerabend. Es war noch hell. Die Colonnaden, zwischen Jungfernstieg und Esplanade, mit ihren teuren Boutiquen waren bereits menschenleer. Ich hatte einen ordentlichen Ziegelstein dabei. Ich holte aus, warf, und mit einem gewaltigen Knall ging die Scheibe zu Bruch. Ich riss die Jacke aus der Ablage. Mirko krallte sich eine Jeans, ein paar Hemden. In der ganzen Hektik hatten wir nicht bemerkt, dass ein paar Männer unsere Aktion beobachtet hatten.
    Plötzlich rannten sie auf uns zu, schnappten sich Mirko und riefen: »Wehr dich nicht, Kleiner!«
    »Schmiere«, schoss es mir durch den Kopf, »nur weg.«
    Mit der Jacke in der Hand lief ich los. Mirko hätte ich unmöglich helfen können. Gerade als ich am »Vier Jahreszeiten« vorbeilief, rief hinter mir jemand: »Stehen bleiben, oder ich schieße.«
    Es durchfuhr mich wie ein Blitz: Da stand ein Polizist, etwa fünfzig Meter von mit entfernt, und er hatte seine Waffe auf mich gerichtet. »Schon gut, schon gut!«, rief ich. Der Bulle kam angelaufen, drehte mich um und drückte mich gegen die Wand. Alles war wie in den Filmen: Beine auseinander, Hände hinter den Kopf. Abtasten nach Waffen, Handschellen.
    Das erste Mal. Ich kam mir vor wie einer meiner Helden – und alle konnten sehen, wie man mich verhaftete. Stolz. Ich wurde abgeführt. Rein in den Wagen der Zivilstreife, in dem Mirko bereits auf mich wartete. Ich versuchte ein Lächeln. Er aber machte ein Gesicht, als hätte er am liebsten losgeheult. Typisch, dachte ich, diese Kommunisten, alles nur Feiglinge. »Haben die dich also auch erwischt«, murmelte Mirko. »Halt’s Maul, oder ich hau dir gleich so in die Fresse«, schrie einer der Zivis. Mirko fing an zu weinen. Mir war eher zum Lachen zumute. Ich musste mich regelrecht zurückhalten, nicht laut loszulachen. Auf der Wache zeigte Mirko sich ziemlich redselig, während ich keinen Ton sagte, was zur Folge hatte, dass seine (sehr wütenden) Eltern ihn abholten, während ich die Nacht in der Zelle verbringen durfte.
    Die Gerichtsverhandlung fand erst ein paar Monate später statt. Mirko rückte mit seinen Eltern an. Wir wechselten kein Wort. Als ich den Gerichtssaal betrat, bekam ich einen Lachkrampf – was allerdings nur ich lustig fand. Der Richter rief mich zur Ordnung und drohte, mich rauszuschmeißen. Diese Herren in ihren Talaren, das wirkte nur lächerlich auf mich. Ich, der ich einen Flaum über der Oberlippe trug, hielt mich für den Größten. Mein Gesicht wurde knallrot. Ich bekam keine Luft mehr, Tränen liefen mir übers Gesicht. Immer wieder musste ich losprusten. Richter, Staatsanwalt, Mirko

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