Boris Pasternak
nicht begonnen. Wenn die Tür knarrt, man
niesen muß oder der Schnee unter den Füßen knirscht, springen auf den hinteren
Gemüsebeeten mit den aus dem Schnee ragenden Kohlstrünken Hasen auf und flitzen
davon. Ihre schwungvollen Spuren furchen den Schnee kreuz und quer. In der
Umgebung bellen noch lange die Hunde. Die letzten Hähne haben schon gekräht,
sie schweigen jetzt. Es wird hell.
Außer den
Hasenspuren finden sich auf der unübersehbaren verschneiten Ebene auch Luchsfahrten,
Tritt hinter Tritt, wie aufgefädelt. Der Luchs schnürt wie eine Katze, Pfote
vor Pfote, und er kann, wie behauptet wird, in einer Nacht viele Werst
zurücklegen.
Den
Luchsen werden Fallen gestellt, doch statt ihrer fangen sich darin oft die armen
Langohren, die steifgefroren und halbverschneit herausgenommen werden.
Anfangs,
im Frühjahr und im Sommer, hatten wir es sehr schwer. Wir waren ganz
entkräftet. Jetzt an den Winterabenden ruhen wir aus. Dank Samdewjatow, der uns
mit Petroleum versorgt, können wir rund um die Lampe sitzen. Die Frauen nähen
oder stricken, und ich oder der Schwiegervater lesen vor. Der Ofen ist geheizt,
und ich als anerkannter Heizfachmann beobachte ihn, um rechtzeitig die Klappe
zu schließen, damit keine Wärme entweicht. Wenn ein noch nicht durchglühtes
Scheit das verzögert, trage ich es, in Qualm gehüllt, laufend über die Schwelle
und werfe es möglichst weit in den Schnee. Funkensprühend fliegt es wie eine
brennende Fackel durch die Luft, beleuchtet den Rand des schlafenden schwarzen
Parks mit den weißen Vierecken der Lichtungen und fällt zischend und erlöschend
in den Schnee.
Wir lesen
immer wieder >Krieg und Frieden<, >Eugen Onegin< und die Poeme, wir
lesen in russischer Übersetzung >Rot und Schwarz« von Stendhal, >Eine Geschichte
aus zwei Städten< von Dickens und die Novellen von Kleist.«
Als es
schon auf den Frühling ging, notierte Doktor Shiwago:
»Ich
glaube, Tonja ist in anderen Umständen. Ich habe es ihr gesagt. Sie teilt meine
Vermutung nicht, aber ich bin mir sicher. Ich täusche mich nicht über die
ersten, kaum erkennbaren Merkmale, die den eindeutigen vorausgehen.
Das
Gesicht einer Frau verändert sich. Man kann nicht sagen, daß es häßlicher
würde. Aber ihr Äußeres, vorher ständig von ihr beobachtet, entgleitet ihrer
Kontrolle.
Über sie
verfügt jetzt die Zukunft, die aus ihr hervorgehen wird und nicht mehr sie
selbst ist. Diese Tatsache wirkt wie eine physische Verwirrtheit, in der ihr
Gesicht glanzlos, ihre Haut gröber wird und ihre Augen anders glänzen, als sie
will, als hätte sie all das nicht mehr im Griff oder vernachlässige es.
Tonja und
ich haben uns immer nahegestanden. Aber dieses arbeitsreiche Jahr hat uns
einander noch näher gebracht. Ich konnte beobachten, wie flink, stark und unermüdlich
sie ist, wie umsichtig in der Wahl der Arbeiten, damit beim Wechsel möglichst
wenig Zeit verlorengeht.
Ich habe
schon immer geglaubt, daß jede Empfängnis unbefleckt ist und daß dieses Dogma,
das die Gottesmutter betrifft, die Gesamtidee der Mutterschaft ausdrückt.
Auf jeder
Gebärenden liegt der gleiche Widerschein von Einsamkeit und Verlassenheit. Der
Mann hat in diesem wesentlichsten aller Augenblicke so wenig damit zu tun, als
wäre er überhaupt nicht beteiligt, und alles wäre vom Himmel gefallen.
Die Frau
allein bringt ihre Nachkommenschaft zur Welt, sie zieht sich mit ihr auf eine
zweite Ebene des Daseins zurück, wo es stiller ist und wo sie ohne
Befürchtungen die Wiege aufstellen kann. Sie allein nährt sie in schweigender
Demut und zieht sie groß.
Man betet
zur Gottesmutter um eifrige Fürbitte bei ihrem Sohn und ihrem Gott. Man legt
ihr Teile des Psalms in den Mund: >Und mein Geist freuet sich Gottes, meines
Heilandes. Denn er hat die Niedrigkeit seiner Magd angesehen. Siehe, von nun an
werden mich selig preisen alle Kindeskinder.< Sie spricht von ihrem Kind,
und Gott hebt sie empor (>Denn er hat große Dinge an mir getan, der da
mächtig ist<), er ist ihr Ruhm. Das kann jede Frau sagen. Ihr Gott ist in
ihrem Kind. Die Mütter großer Menschen müssen dieses Gefühl kennen. Aber alle
Mütter sind Mütter von großen Menschen, und es ist nicht ihre Schuld, wenn das
Leben sie später täuscht.«
»Wir lesen
immer wieder >Eugen Onegin< und die Poeme. Gestern war Samdewjatow hier,
brachte Geschenke. Wir genießen und bilden uns. Endlose Gespräche über die
Kunst.
Es ist ein
ganz alter Gedanke von mir, daß Kunst nicht die
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