Boris Pasternak
Bezeichnung eines Gebiets ist,
das unzählige Begriffe und miteinander verflochtene Erscheinungen umfaßt,
sondern etwas Begrenztes und Konzentriertes, die Bezeichnung eines Prinzips,
das in das Kunstwerk eingeht, der Name einer darin angewendeten Kraft oder
erarbeiteten Wahrheit. Ich habe in der Kunst nie nur die Form gesehen,
sondern eher einen geheimnisvollen und verborgenen Teil des Inhalts. Das ist
mir so klar wie der lichte Tag, ich spüre es mit allen meinen Fasern, aber wie
soll ich diesen Gedanken ausdrücken und formulieren?
Kunstwerke
sprechen durch vieles: Themen, Thesen, Sujets, Helden. Vor allem aber durch die
ihnen innewohnende Kunst. Die Kunst in dem Roman >Schuld und Sühne<
erschüttert mehr als das Verbrechen Raskolnikows.
Die
eigentliche Kunst, die ägyptische, die griechische, unsere Kunst, ist
sicherlich über viele Jahrtausende hinweg ein und dieselbe Kunst, die nur im
Singular existiert. Sie ist ein Gedanke, eine Bestätigung des Lebens, wegen
ihrer allumfassenden Weite nicht in Einzelwörter zerlegbar, und wenn ein Teil
dieser Kraft eingeht in den Bestand eines komplizierteren Gemischs, überwiegt
die Beigabe von Kunst an Bedeutung alles übrige und erweist sich als das Wesen,
die Seele und die Grundlage des Dargestellten.«
»Ich bin
ein wenig erkältet, huste und habe wohl etwas Fieber. Den ganzen Tag benimmt es
mir den Atem, als ob ich einen Klumpen in der Kehle habe. Ich fühle mich
schlecht. Das ist die Aorta. Die ersten Warnungen des Erbes von meiner armen
Mutter, die ihr Leben lang herzkrank war. Sollte das wirklich so sein? So
früh? Dann werde ich auf dieser schönen Welt nicht lange zu leben haben.
Das Zimmer
ist etwas dunstig. Es riecht nach Plätten. Sie plätten ja auch, holen immer
wieder glühende Kohlen aus dem Ofen und schütten sie in das Plätteisen mit dem
klappernden Deckel. Das erinnert mich an etwas. Woran nur? Die Krankheit macht
mich vergeßlich.
Aus lauter
Freude darüber, daß Samdewjatow Kernseife mitgebracht hat, wurde sogleich mit
großer Wäsche begonnen, und Saschenka ist zwei Tage ohne Aufsicht. Während ich
schreibe, kriecht er unter den Tisch, setzt sich auf die Querleiste zwischen
den Tischbeinen und tut so, als ob er mich im Schlitten spazierenfährt, was
Sam-dewjatow bei jedem Besuch mit ihm tut.
Wenn ich
wieder gesund bin, muß ich mal in die Berge fahren, muß über Ethnographie und
Geschichte der Region nachlesen. Es soll hier eine großartige Stadtbibliothek
geben, die aus den Spenden einiger Reicher besteht. Ich möchte schreiben. Ich
muß mich beeilen. Ehe man sich's versieht, ist Frühling. Dann ist keine Zeit
mehr zum Lesen und Schreiben.
Der
Kopfschmerz wird immer schlimmer. Ich habe schlecht geschlafen und hatte einen
jener verworrenen Träume, die man beim Aufwachen sogleich vergißt. Er ist weg
aus meinem Kopf, und ich weiß nur noch, daß mich eine Frauenstimme weckte, die
in meinem Traum durch die Luft schallte. Ihr Klang ist mir in Erinnerung geblieben,
und als ich ihn mir ins Gedächtnis rief, ging ich in Gedanken die mir bekannten
Frauen durch, um herauszufinden, welcher von ihnen diese schwere, weiche Bruststimme
gehört. Sie gehört keiner von ihnen. Ich dachte, meine übermäßige Gewöhnung an
Tonja hinderte mich, sie zu erkennen. Darum versuchte ich zu vergessen, daß sie
meine Frau ist, und schob ihr Bild in eine Entfernung, die hinreichte, die
Wahrheit zu erkennen. Nein, es war auch nicht ihre Stimme. Die Frage blieb
ungeklärt.
Apropos
Träume. Es wird gewöhnlich angenommen, daß man nachts das träumt, was am Tag in
wachem Zustand den stärksten Eindruck hinterlassen hat. Ich habe das Gegenteil
beobachtet.
Mir ist
schon oft aufgefallen, daß gerade die Dinge, die man tagsüber kaum bemerkt, die
Gedanken, die man nicht bis zur Klarheit geführt, die Wörter, die man seelenlos
dahingesagt hat und die unbeachtet geblieben sind, in der Nacht wiederkehren,
Fleisch und Blut gewinnen und zum Traumthema werden, gleichsam als Vergeltung
für die ihnen am Tag entgegengebrachte Geringschätzung.«
»Eine
klare Frostnacht. Alles Sichtbare ist ungewöhnlich markant und in sich
geschlossen. Erde, Luft, Mond und Sterne sind wie vom Frost
zusammengeschmiedet. Im Park liegen quer zu den Alleen die deutlichen Schatten
der Bäume, sie sehen plastisch aus und wie gedrechselt.
Immerfort
glaubt man, irgendwelche schwarzen Gestalten gingen unentwegt an verschiedenen
Stellen über den Weg. Die großen Sterne hängen im Wald wie
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