Boris Pasternak
echte Not und
gute Gesundheit.
Darüber
will ich nicht hinausgehen, ich predige nicht wie Tolstoi Anspruchslosigkeit
und Rückkehr zur Scholle, ich erfinde keine Korrektur des Sozialismus in der
Agrarfrage. Ich stelle lediglich ein Faktum fest und erhebe nicht unser
zufällig so gefügtes Schicksal zum System. Unser Beispiel ist anfechtbar und
taugt nicht für Schlußfolgerungen. Unsere Wirtschaft setzt sich gar zu
uneinheitlich zusammen. Nur einen kleinen Teil davon, unsern Vorrat an Gemüse
und Kartoffeln, verdanken wir unserer Hände Arbeit. Alles übrige stammt aus
anderer Quelle.
Unsere
Nutzung des Bodens ist ungesetzlich. Wir haben sie eigenmächtig der von der
Staatsmacht festgelegten Kontrolle entzogen. Wenn wir Holz schlagen, ist es
Diebstahl, nicht entschuldbar dadurch, daß wir es dem Staat aus der Tasche
stehlen, die früher die Tasche der Krügers war. Uns deckt Mikulizyn, der dies
duldet und auf ähnliche Weise lebt, und uns rettet die Entfernung zur Stadt, wo
man zum Glück noch nichts von unserm Tun weiß.
Ich habe
die Medizin aufgegeben und verschweige, daß ich Arzt bin, um nicht meine
Freiheit einzuschränken. Aber immer wieder erfährt eine gute Seele am Ende der
Welt, daß sich in Warykino ein Arzt niedergelassen hat, und kommt dreißig Werst
weit, um sich Rat zu holen, einer mit einem Hähnchen, einer mit Eiern, einer
mit Butter oder sonst etwas. Wie ich solche Honorare auch zurückweisen möchte,
ich kann es nicht, denn die Leute glauben nicht an die Wirksamkeit von
kostenlos erteilten Ratschlagen. Also, einiges bringt die ärztliche Praxis mir
ein, doch unsere und Mikulizyns Hauptstütze ist Samdewjatow. Es ist nicht zu
fassen, was für Gegensätze dieser Mann in sich vereint. Er ist aufrichtig für
die Revolution und verdient durchaus das Vertrauen, das der Jurjatiner Stadtsowjet
in ihn setzt. Mit seinen unbegrenzten Vollmachten könnte er den ganzen Wald von
Warykino requirieren und abtransportieren, ohne uns und den Mikulizyns etwas
davon sagen zu müssen, und wir dürften nicht mal mit der Wimper zucken. Wenn er
andererseits den Staat bestehlen wollte, könnte er in aller Ruhe in die eigene
Tasche wirtschaften, und es würde auch niemand mucksen. Er braucht mit
niemandem zu teilen und niemanden zu beschenken. Was bewegt ihn, für uns zu
sorgen, den Mikulizyns zu helfen und alle in der Gegend zu unterstützen wie zum
Beispiel den Stationsvorsteher von Torfjanaja? Er ist dauernd unterwegs, um
etwas zu besorgen und heranzuschaffen, er analysiert und deutet Dostojewskis
>Dämonen< und das Kommunistische Manifest gleichermaßen fesselnd, und ich
glaube, wenn er sich das Leben nicht unnötigerweise erschwerte, würde er vor
Langeweile sterben.«
Etwas
später schrieb Doktor Shiwago:
»Wir haben
den hinteren Teil des alten Herrenhauses bezogen und wohnen in den zwei Zimmern
des hölzernen Anbaus, die in Anna Iwanownas Kindheit von Krüger für auserwählte
Leute vom Gesinde vorgesehen waren, für die Hausschneiderin, die Wirtschafterin
und eine frühere Kinderfrau.
Dieser
Teil des Gebäudes war recht verfallen. Wir haben ihn ziemlich schnell
ausgebessert. Mit Hilfe von Fachleuten haben wir den Ofen, der beide Zimmer beheizt,
neu gesetzt. So wie die Züge jetzt liegen, gibt er mehr Wärme.
An dieser
Stelle des Parks waren die früheren Wege zugewuchert. Jetzt im Winter, wo
alles ringsum tot ist und das Lebendige das Gestorbene nicht mehr verhüllt,
treten die Umrisse unter dem Schnee deutlich hervor.
Wir haben
Glück gehabt. Wir hatten einen trockenen und warmen Herbst. Die Kartoffeln
waren vor den Regenfällen und den ersten Frösten aus der Erde. Ohne das, was
wir den Mikulizyns schuldeten und zurückerstattet haben, sind uns zwanzig Säcke
geblieben, die liegen in dem größten Verschlag des Kellers, mit Heu und alten
zerrissenen Decken zugedeckt. Im Keller stehen auch zwei Fässer Gurken, die
Tonja eingesalzen hat, und zwei Fässer Sauerkohl. An den Stützpfosten hängen zu
zweien die frischen Kohlköpfe. In trockenem Sand sind Möhren eingelegt, auch
eine stattliche Menge Rettiche, rote Bete und Rüben. Im Hause haben wir einen
tüchtigen Vorrat an Erbsen und Bohnen. Das Holz im Schuppen reicht bis zum
Frühjahr. Ich liebe im Winter den warmen Kellergeruch nach Wurzeln, Erde und
Schnee, der in die Nase dringt, wenn man frühmorgens die Klappe öffnet und mit
einem schwachen Flämmchen, das jederzeit ausgehen kann, hinuntersteigt. Verläßt
man dann das Haus, so hat der Tag noch
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