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Boris Pasternak

Boris Pasternak

Titel: Boris Pasternak Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dr Shiwago
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lebte,
hatte er nicht gewußt, daß der Vater längst von ihnen weggegangen war, die Städte
Sibiriens und das Ausland bereiste, ein zügelloses Säuferleben führte und ihr
Millionenvermögen längst durchgebracht und verschleudert hatte. Man hatte Jura
immer gesagt, der Vater wäre bald in Petersburg, bald auf einer Handelsmesse,
zumeist in Irbit.
    Dann brach bei der Mutter, die
schon immer kränklich gewesen war, die Schwindsucht aus. Sie unternahm nun
Reisen nach Südfrankreich und Oberitalien, um wieder gesund zu werden, und Jura
durfte sie zweimal begleiten. In solcher Unordnung und voller Rätsel verlief
seine Kindheit, oft bei fremden Menschen, die ständig wechselten. Er gewöhnte
sich an diese Veränderungen, und in dem ewigen Hin und Her vermißte er den
Vater nicht.
    Als kleiner Junge hatte er
noch die Zeit erlebt, als der Name, den er trug, viele ganz verschiedene Dinge
bezeichnete.
    Es gab die Shiwago-Manufaktur,
die Shiwago-Bank, die Shiwago-Häuser, es gab die Shiwago-Methode, einem
Krawattenknoten mit einer Nadel festen Halt zu verleihen, und es gab sogar
einen süßen Rumkuchen mit dem Namen Shiwago, und man konnte eine Zeitlang in
Moskau dem Kutscher zurufen »zu Shiwago!« wie dahin, wo sich die Füchse gute
Nacht sagen!, dann fuhr er einen mit dem Schlitten über sieben Berge in ein
Märchenreich. Man war von einem stillen Park umgeben. Auf die herunterhängenden
Tannenzweige setzten sich, den Reif abschüttelnd, Krähen. Ihr Krächzen hallte
lange nach wie das Knacken eines Astes. Von den Neubauten jenseits der Schneise
kamen Rassehunde gelaufen. Dort wurden die Lichter angezündet. Es war Abend.
Mit einemmal zerstob das alles. Sie waren arm.
     
    Im Sommer neunzehnhundertdrei
fuhren Jura und sein Onkel in einem zweispännigen Reisewagen durch die Felder
nach Dupljanka, auf das Gut des Seidenfabrikanten und Kunstmäzens Kologriwow,
um den Pädagogen und Popularisator nützlicher Kenntnisse Iwan Woskoboinikow zu
besuchen.
    Es war um das Fest der
Gottesmutter von Kasan, und die Ernte war in vollem Gange. Wegen der
Mittagszeit oder des Festes aber war keine Menschenseele auf den Feldern. Die
Sonne brannte auf die stehengebliebenen Getreidestreifen, die an halbrasierte
Zuchthäuslerköpfe erinnerten. Über den Feldern kreisten Vögel. Der Weizen stand
mit geneigten Ähren stramm angetreten in vollkommener Windstille oder ragte in
Puppen fern der Straße, und man konnte, wenn man lange hinsah, den Eindruck gewinnen,
als ob sich dort am Horizont Gestalten bewegten, Landmesser, die etwas
notierten.
    »Diese Felder«, erkundigte
sich Wedenjapin bei Pawel, dem Arbeiter und Wächter des Buchverlags, der
seitlich, krumm auf dem Bock saß, ein Bein übers andere geschlagen, zum
Zeichen, daß er von Haus aus kein Kutscher sei und die Pferde nicht von Berufs
wegen lenke, »diese Felder, gehören sie Gutsbesitzern oder Bauern?«
    »Herrenland ist das«,
antwortete Pawel und brannte sich umständlich eine Zigarette an, »und die da«,
er machte ein paar Züge, dann zeigte er mit dem Peitschenstiel zur anderen
Seite, »die sind unsere. He, schlaft ihr?« rief er immer wieder den Pferden zu,
deren Schweife und Kruppen er ständig im Auge behielt wie ein Lokführer seine
Manometer.
    Aber die Pferde zogen wie alle
Pferde auf der Welt, das heißt, das Gabelpferd mit der angeborenen Geradheit
seiner schlichten Natur, das Beipferd hingegen hätte einem, der nichts davon
verstand, als ausgemachter Faulpelz erscheinen können, der nur das eine im Sinn
hatte, den Hals zu biegen wie ein Schwan und zu tänzeln beim Klang der
Schellen, den es mit seinen Sprüngen selbst hervorbrachte.
    Wedenjapin hatte für
Woskoboinikow die Korrekturfahnen von dessen Buch über die Agrarfrage bei sich,
die wegen des zunehmenden Drucks der Zensur auf den Verlag nochmals
durchgesehen werden sollten.
    »Das Volk im Kreis schlägt
über die Stränge«, sagte Wedenjapin. »Im Landkreis Pankowskaja haben sie einen
Kaufmann erstochen, und dem Landhauptmann haben sie das Gestüt angezündet. Was
hältst du davon? Was sagen die Leute bei euch im Dorf?«
    Es zeigte sich, daß Pawel die
Dinge noch düsterer sah als selbst der Zensor, der Woskoboinikows Leidenschaft
in der Agrarfrage zügeln wollte.
    »Was sollen sie sagen? Das Volk
ist von der Leine. Verwöhnt ist es, sagen sie. Bei unsereins ist alles drin.
Gib den Mushiks Freiheit, dann murksen sie sich gegenseitig ab, wahrhaftigen
Gottes. He, schlaft ihr?«
    Es war die zweite Reise des
Onkels und

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