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Boris Pasternak

Boris Pasternak

Titel: Boris Pasternak Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dr Shiwago
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Schwiegervater ins Eßzimmer zu dem Teetisch trat, sagte er
begeistert: »Eine herrliche Gegend ist das hier. Und was Sie für ein
großartiges Arbeitszimmer haben! Das verlockt gradezu zum Schaffen und
verspricht Inspiration.«
    »Möchten
Sie den Tee im Glas oder in der Tasse? Und mögen Sie ihn schwach oder stark?«
    »Sieh mal,
Jura, dieses Stereoskop hat Awerki Stepanowitschs Sohn gebastelt, als er noch
klein war.«
    »Er ist
bis heute nicht erwachsen, noch nicht zur Vernunft gekommen, obwohl er dem
Komutsch für die Sowjetmacht ein Gebiet nach dem anderen abnimmt.«
    »Was war
das für ein Wort?«
    »Komutsch.«
    »Was ist
das?«
    »So nennen
wir die Truppen der Sibirischen Regierung, die für die Wiederherstellung der
Macht der Konstituierenden Versammlung eintreten.«
    »Wir hören
schon den ganzen Tag Loblieder auf Ihren Sohn. Sie können stolz auf ihn sein.«
    »Dies sind
Ansichten vom Ural, doppelt, stereoskopisch, die hat er mit einem
selbstgebauten Objektiv aufgenommen.«
    »Sind die
Kekse mit Saccharin gebacken? Sie schmecken wunderbar.«
    »Ich bitte
Sie! Wo sollte in dieser Einöde Saccharin herkommen! Nein, das ist richtiger
Zucker. Ich habe doch welchen aus der Zuckerdose in Ihren Tee getan. Haben Sie
das nicht bemerkt?«
    »Ja, doch.
Ich hatte gerade die Fotografien betrachtet. Es scheint auch echter Tee zu
sein?«
    »Selbstverständlich.
Mit Aroma.«
    »Wo haben
Sie das alles her?«
    »Wir haben
ein Tischleindeckdich. Das ist ein Bekannter. Ein Funktionär. Sehr links
orientiert. Offizieller Vertreter des Gouvernementsvolkswirtschaftsrats. Er
holt von uns Holz für die Stadt, und uns bringt er aus alter Bekanntschaft
Graupen, Öl und Mehl. Awerki, gib mir mal die Zuckerdose rüber. Jetzt möchte
ich Sie was fragen: In welchem Jahr starb Gribojedow?«
    »Geboren
ist er, glaub ich, siebzehnhundertfünfundneunzig. Wann er ermordet wurde, kann
ich nicht genau sagen.«
    »Noch
Tee?«
    »Nein,
danke.«
    »Noch eine
Frage. Sagen Sie, wann wurde der Frieden von Nymwegen geschlossen und zwischen
welchen Ländern?«
    »Quäl sie
doch nicht, Lena. Laß die Leute sich erst mal erholen von der Reise.«
    »Eines
möchte ich noch wissen. Zählen Sie bitte auf, welche Arten von
Vergrößerungsgläsern es gibt und in welchen Fällen reelle, umgekehrte,
aufrechte und verkleinerte Bilder entstehen.«
    »Wo haben
Sie diese Physikkenntnisse her?«
    »Wir
hatten in Jurjatin einen hervorragenden Mathematiklehrer. Der hat am
Jungengymnasium und bei uns in der Mädchenschule unterrichtet. Wie der erklären
konnte, einfach großartig! Wie ein Gott! Manchmal hat er einem alles geradezu
vorgekaut und in den Mund gelegt; Antipow hieß er, er war mit einer hiesigen
Lehrerin verheiratet. Sämtliche Mädchen waren in ihn verliebt. Er ist als
Freiwilliger in den Krieg gegangen und nicht zurückgekehrt, ist gefallen. Es
wird behauptet, unsere Gottesgeißel und Himmelsstrafe, Kommissar Strelnikow,
soll der auferstandene Antipow sein. Eine Legende natürlich. Paßt auch nicht zu
ihm. Aber wer weiß? Möglich ist alles. Noch ein Täßchen?«
     
    Neunter Teil
     
    Warykino
     
    Im Winter,
als mehr Zeit war, machte sich Doktor Shiwago allerlei Notizen. So schrieb er:
    »Wie oft
wollte ich in diesem Sommer mit Tjutschew sagen.
    O welch
ein Sommer, welch ein Sommer! Es ist die reinste Zauberei. Wir haben so auf ihn
gewartet, und nun kommt er so rasch herbei.
    Welch ein
Glücksgefühl, von früh bis spät für sich und die Familie zu arbeiten, ein
eigenes Hauswesen zu errichten, die Erde für das tägliche Brot zu bebauen, wie
Robinson eine eigene Welt zu schaffen, so wie der Schöpfer das All schuf, und
dem Beispiel der Mutter folgend immer wieder neu sich zu gebären!
    Wieviel
Gedanken ziehen durch das Bewußtsein, wieviel Neues geht einem durch den Kopf,
während man mit körperlicher Arbeit beschäftigt ist und sich vernünftige,
physisch lösbare Aufgaben stellt, für deren Ausführung man mit Freude und
Erfolg belohnt wird, während man sechs Stunden hintereinander mit dem Beil
etwas behaut oder die Erde umgräbt unter freiem Himmel, der einen mit seinem
wohltätigen Atem versengt. Daß diese Gedanken, Überlegungen und Vergleiche
sich nicht zu Papier bringen lassen und in ihrer beiläufigen Flüchtigkeit vergessen
werden, ist kein Verlust, sondern ein Gewinn. Städtischer Einsiedler, der du
mit starkem schwarzem Kaffee oder mit Tabak deine schwachen Nerven und deine
Phantasie aufpeitschst, du kennst nicht das stärkste Narkotikum:

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