Boris Pasternak
blaue
Glimmerlaternen zwischen den Zweigen. Von kleinen Sternen ist der Himmel
übersät wie eine Sommerwiese von Margeriten.
An den
Abenden weitere Gespräche über Puschkin. Wir nahmen uns die Lyzeumsgedichte des
ersten Bandes vor. Wie wichtig ist doch die Wahl des Versmaßes!
In den
Gedichten mit den langen Zeilen mag der >Arsamas< seinen Jünglingsehrgeiz
beflügelt haben, der Wunsch, den Älteren nicht nachzustehen, dem lieben Onkel
Sand in die Augen zu streuen mit Schwulst, Mythologismen, vorgeblicher
Verdorbenheit, Epikureertum und frühzeitigem, vorgetäuschtem gesundem
Menschenverstand.
Aber von den
Nachahmungen Ossians oder Parnys, von den >Erinnerungen in Zarskoje Selo<
fand der junge Mann zu kurzen Zeilen wie im >Städtchen< oder im >Brief
an die Schwester< oder im späten, in Kischinjow geschriebenen >An mein
Tintenfaß< wie auch zu den Rhythmen des >Briefes an Judin<, und hier
erwachte in ihm schon der ganze spätere Puschkin.
In das
Gedicht drangen wie durch ein Fenster von draußen Licht und Luft, der Lärm des
Lebens, Dinge, Inhalte. Die Gegenstände der Außenwelt, Gebrauchsgegenstände,
Substantive ballten sich zusammen, bemächtigten sich der Verszeilen und
verdrängten die weniger konkreten Redeteile. Gegenstände, Gegenstände,
Gegenstände reihten sich in gereimten Kolonnen an den Rändern des Gedichts.
Der später
berühmte vierfüßige Jambus Puschkins ist wohl zur Maßeinheit des russischen
Lebens geworden, als hätte der Dichter dem ganzen russischen Dasein Maß
genommen, so wie man die Form eines Fußes abzeichnet, wenn ein Schuh gefertigt
werden soll, oder wie man seine Handschuhnummer angibt, wenn der Handschuh
passen soll.
So fanden
später die Rhythmen des sprechenden Rußland, die Klänge seiner Umgangssprache
Ausdruck in den Größenordnungen von Nekrassows dreihebigen Verszeilen und
seinen daktylischen Reimen.«
»Wie gern
möchte ich neben meiner ländlichen Arbeit oder der Arztpraxis etwas Großes,
Bleibendes hervorbringen, eine wissenschaftliche Arbeit oder etwas Schöngeistiges
schreiben.
Jeder wird
als Faust geboren, um alles zu erfassen, alles zu erproben, alles auszudrücken.
Daß Faust Gelehrter wurde, dafür sorgten die Fehler seiner Vorgänger und seiner
Zeitgenossen. Ein Schritt vorwärts in der Wissenschaft vollzieht sich nach dem
Gesetz der Abstoßung, er beginnt mit der Widerlegung von herrschenden Irrtümern
und falschen Theorien.
Daß Faust
Künstler wurde, dafür sorgten die ansteckenden Beispiele der Lehrmeister. Ein
Schritt vorwärts in der Kunst vollzieht sich nach dem Gesetz der Anziehung, er
beginnt mit der Nachahmung, Nachfolge und Verehrung eines geliebten Vorgängers.
Was
hindert mich, zu arbeiten, zu heilen und zu schreiben? Ich denke, nicht die
Entbehrungen und das Wanderleben, nicht die Unsicherheit und die häufigen
Veränderungen, sondern der heutzutage dominierende Geist der tönenden Phrase,
der solche Verbreitung gefunden hat, diese: Morgenröte der Zukunft, Aufbau der
neuen Welt, Fackel der Menschheit. Wenn man das hört, denkt man zunächst,
welche Breite der Phantasie, welcher Reichtum!
In
Wirklichkeit ist das so hochtrabend infolge von Unfähigkeit.
Ungewöhnlich
ist nur das Einfache, wenn es von der Hand des Genies berührt wird. Das beste
Beispiel dafür ist Puschkin. Welch ein Lobgesang auf die ehrliche Arbeit, auf
die Pflicht, auf die Gewohnheiten des Alltags! Kleinbürger, Bürgersmann, das
klingt jetzt bei uns wie ein Vorwurf. Diesen Vorwurf hat Puschkin im
>Stammbaum< vorweggenommen :
>Ich
bin ein schlichter Bürgersmann.<
Und in der
>Reise Onegins<:
>Mein
Ideal ist jetzt die Alte,
Die mich
verpflegt, mein Wunsch die Ruh,
Ein Leben
schlicht und frei dazu.<
Von allem
Russischen liebe ich jetzt am meisten die russische Kindlichkeit Puschkins und
Tschechows, ihre schüchterne Unbekümmertheit vor so hochtrabenden Dingen wie
den Zielen der Menschheit oder ihrem eigenen Seelenheil. Darüber wußten sie
gut Bescheid, aber was sollten ihnen solche Protzereien, das entsprach nicht
ihrer Stellung und ihrer Würde! Gogol, Tolstoi, Dostojewski bereiteten sich
beunruhigt auf den Tod vor, suchten nach Sinn, zogen Bilanz, während Puschkin
und Tschechow bis zu ihrem Ende abgelenkt waren von den Besonderheiten ihrer
künstlerischen Berufung, mit ihnen lebten sie unauffällig ihr Leben, auch eine
persönliche Besonderheit, die niemanden etwas anging. Aber diese Besonderheit
erweist sich heute als allgemeine Angelegenheit, sie
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