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Boris Pasternak

Boris Pasternak

Titel: Boris Pasternak Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dr Shiwago
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Natur ist
dunkel und widersprüchlich! In irgendeinem Winkelchen deines Abscheus bist du
ihm vielleicht mehr hörig als irgend jemandem sonst, den du aus freien Stücken
und ohne Zwang liebst.«
    »Das ist
ja schrecklich, was du sagst. Und wie immer so treffend, daß diese
Widernatürlichkeit mir wahr vorkommt. Aber das ist ja entsetzlich!«
    »Beruhige
dich. Hör nicht auf mich. Was ich sagen wollte, ist, ich bin eifersüchtig auf
das Dunkle, Unbewußte in dir, auf das, was zu erklären undenkbar, was nicht zu
erraten ist. Ich bin eifersüchtig auf deine Toilettengegenstände, die
Schweißtropfen auf deiner Haut, die in der Luft schwebenden ansteckenden
Krankheiten, die dich befallen und dein Blut vergiften könnten. Und so, wie auf
solch eine Ansteckung, bin ich auf Komarowski eifersüchtig, der dich mir eines
Tages wegnehmen wird, so wie mein oder dein Tod uns eines Tages trennen wird.
Ich weiß, das alles muß dir vorkommen wie eine Anhäufung von Unklarheiten. Ich
kann es nicht besser und verständlicher sagen. Ich liebe dich ohne Verstand,
ohne Besinnung, ohne Ende. Erzähl mir mehr von deinem Mann. >Im
Schicksalsbuch stehn wir in einer Zeile<, wie Shakespeare sagt.«
    »Woraus
ist das?«
    »Aus
>Romeo und Julia<.«
    »Ich habe
dir damals in Meljusejew viel von ihm erzählt, als ich nach ihm suchte. Und
dann später hier in Jurjatin, bei unsern ersten Begegnungen, als ich von dir erfuhr,
daß er dich in seinem Waggon verhaften wollte. Ich glaube, ich habe dir
erzählt, vielleicht auch nicht, daß ich ihn einmal von weitem gesehen habe, als
er in den Wagen stieg. Du kannst dir nicht vorstellen, wie sie ihn bewacht
haben! Ich fand, er hatte sich gar nicht verändert. Dasselbe schöne, ehrliche,
entschlossene Gesicht, das ehrlichste von allen Gesichtern, die ich je gesehen
habe. Nichts Gekünsteltes, ein mannhafter Charakter, kein bißchen Pose. So war
es immer gewesen, und so war es geblieben. Aber eine Veränderung habe ich doch
bemerkt, und die hat mich beunruhigt.
    Es war
gewissermaßen etwas Abstraktes in dieses Gesicht eingegangen und hatte es
farblos gemacht. Das lebendige menschliche Gesicht war zu einer Verkörperung
geworden, zu einem Prinzip, zum Abbild einer Idee. Bei dieser Feststellung hat
sich mir das Herz zusammengepreßt. Ich habe begriffen, daß dies die Auswirkung
der Kräfte war, in deren Hände er sich gegeben hatte, höherer Kräfte, doch
tötend und erbarmungslos, Kräfte, die auch ihn irgendwann nicht verschonen
würden. Mir schien er gezeichnet wie vom Finger des Verhängnisses. Aber vielleicht
irre ich mich. Vielleicht wirken in mir deine Ausdrücke nach, als du mir eure
Begegnung beschrieben hast. Abgesehen von unseren gemeinsamen Gefühlen gibt es
ja so viel, was ich von dir übernehme!«
    »Nein,
erzähl mir von eurem Leben vor der Revolution.«
    »Schon als
kleines Kind begann ich von Reinheit zu träumen. Er war die verkörperte
Reinheit. Wir sind ja fast im selben Hof aufgewachsen. Ich, er und Galiullin.
Ich war sein kindlicher Schwarm. Er erstarb, und ihm wurde kalt, wenn er mich
sah. Vielleicht ist es nicht schön, daß ich das weiß und davon rede. Aber es
wäre noch schlimmer, wenn ich mich unwissend stellte. Ich war seine kindliche
Leidenschaft, eine versklavende Leidenschaft, die man geheim hält, weil der
kindliche Stolz es nicht zuläßt, sie zu offenbaren, und die doch im Gesicht
geschrieben steht und für jedermann sichtbar ist. Wir waren gute Freunde. Wir
waren so verschieden voneinander, wie wir beide gleich sind, du und ich. Ich
habe ihn mit dem Herzen gewählt. Ich wollte mein Leben mit diesem wunderbaren
Jungen verbinden, wenn wir erwachsen geworden sind, und ich habe mich schon
damals in Gedanken mit ihm verlobt.
    Und denk
mal, was er für ungewöhnliche Fähigkeiten hat! Er ist der Sohn eines einfachen
Weichenstellers oder Bahnwärters, und er hat allein mit seiner Begabung und
seiner Ausdauer, fast hätte ich gesagt, das Niveau, aber ich muß sagen, die
Höhen des zeitgenössischen Universitätswissens auf zwei Spezialgebieten
erreicht, der Mathematik und der Geisteswissenschaften. Und das ist keine
Kleinigkeit!«
    »Wenn das
so ist, was hat dann euren häuslichen Frieden gestört, zumal ihr euch so sehr
liebtet?«
    »Ach, das
ist schwer zu beantworten. Ich versuche, es dir zu erzählen. Aber merkwürdig,
ich, eine schwache Frau, soll einem so klugen Mann wie dir erklären, was
gegenwärtig mit dem Leben überhaupt geschieht, mit dem menschlichen Leben in
Rußland,

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