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Boris Pasternak

Boris Pasternak

Titel: Boris Pasternak Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dr Shiwago
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fällt, sank er in einen Abgrund
der Seligkeit.
    Sein Leben
lang hatte er etwas getan, war er beschäftigt gewesen, hatte im Haushalt
gearbeitet, hatte praktiziert, gedacht, studiert, produziert. Wie schön war es
jetzt, nicht mehr zu handeln, zu streben, zu grübeln, sondern dies für eine
Zeitlang der Natur zu überlassen und selber ein Gegenstand zu werden, eine
Idee, ein Werk in ihren gnädigen, hinreißend schönen Armen.
    Shiwago
erholte sich rasch. Lara fütterte, pflegte ihn gesund mit ihrer Obsorge, ihrer
schwanenweißen Schönheit, mit dem feucht atmenden kehligen Raunen ihrer Fragen
und Antworten.
    Ihre
halblauten Gespräche, selbst wenn es um belanglose Dinge ging, waren voller
Bedeutung wie Piatos Dialoge.
    Noch mehr
als die seelische Gemeinschaft verband sie der Abgrund, der sie von der übrigen
Welt trennte. Gleichermaßen verhaßt war ihnen beiden das so fatal Typische des
zeitgenössischen Menschen - seine einstudierte Begeisterung, seine
schreierische Schwülstigkeit und die tödliche Lähmung, die so fleißig
verbreitet wurden von den unzähligen Mitarbeitern der Wissenschaften und
Künste, so daß Genialität weiterhin eine große Seltenheit blieb.
    Ihre Liebe
war groß. Aber alle Menschen lieben, ohne sich der Einzigartigkeit ihrer
Gefühle bewußt zu sein.
    Für sie
beide aber - und darin bestand ihre Einmaligkeit - waren die Augenblicke, in
denen wie ein Hauch der Ewigkeit die Leidenschaft in ihr zum Untergang
verurteiltes menschliches Dasein hineinwehte, Momente, in denen sie Neues und
immer Neues über sich und das Leben entdeckten und erfuhren.
     
    »Du mußt
unbedingt zurück zu den Deinen. Ich halte dich nicht einen Tag länger als
nötig. Aber du siehst, was sich tut. Kaum waren wir hier mit Sowjetrußland vereinigt,
schon brach seine Zerrüttung über uns herein. Sibirien und der Osten sollen
Rußlands Löcher stopfen. Du hast ja keine Ahnung! Während du krank warst, hat
sich so viel in der Stadt verändert! Die Vorräte aus unseren Speichern werden
nach Moskau transportiert. Für Moskau ist das ein Tropfen auf den heißen Stein,
die Vorräte verschwinden dort wie in einem Faß ohne Boden, aber wir bleiben
ohne Lebensmittel. Die Post funktioniert nicht, der Personenverkehr ist
eingestellt, es fahren nur noch Getreidezüge. In der Stadt wird schon wieder gemurrt
wie vor dem Aufstand Gaidas, und als Antwort auf Äußerungen der Unzufriedenheit
wütet die Tscheka.
    Du kannst
dich jetzt nicht auf den Weg machen, so wie du aussiehst, Haut und Knochen,
kaum noch eine Seele im Körper. Willst du etwa wieder zu Fuß gehen? Das
schaffst du nie! Erhole dich, sammle Kräfte, dann sieht das schon anders aus.
    Ich traue
mich nicht, dir zu raten, aber ich an deiner Stelle würde bis zur Abreise zu
deiner Familie eine Arbeit aufnehmen, unbedingt in deinem Beruf, das wird
geschätzt, ich würde zum Beispiel zum Gouvgesundheitsamt gehen. Es ist in dem
Haus, wo früher die ärztliche Verwaltung war.
    Überleg
doch mal. Du bist der Sohn eines sibirischen Millionärs, der sich umgebracht
hat, deine Frau ist die Tochter eines hiesigen Fabrikanten und Grundbesitzers.
Du warst bei den Partisanen und bist weggelaufen. Wie du's auch drehst und
wendest, der Weggang von den Soldaten der Revolution gilt als Desertion. Du
darfst auf keinen Fall ohne Arbeit und damit rechtlos bleiben. Meine Stellung
ist auch nicht viel besser. Darum will ich arbeiten gehen, bei der
Gouvvolksbildung. Auch mir brennt der Boden unter den Füßen.«
    »Wieso
das? Und Strelnikow?«
    »Gerade
wegen Strelnikow. Ich habe dir schon mal gesagt, wieviel Feinde er hat. Die
Rote Armee hat gesiegt. Den parteilosen Offizieren, die den führenden Kreisen
nahestanden und zu viel wissen, geht es jetzt an den Kragen.
    Gut noch,
wenn sie nicht unters Beil müssen, damit keine Spuren bleiben. Pawluscha gehört
zu den ersten. Er ist in größter Gefahr. Er war im Fernen Osten. Ich habe
gehört, er ist geflohen und untergetaucht. Sie sollen schon nach ihm suchen.
Aber genug davon. Ich mag nicht weinen, und wenn ich noch ein Wort über ihn
sage, dann muß ich weinen.«
    »Du hast
ihn geliebt, und du liebst ihn noch immer sehr, nicht?«
    »Aber ich
habe ihn doch geheiratet, er ist mein Mann, Jura. Er ist ein großer, lichter
Charakter. Ich bin zutiefst schuldig vor ihm. Ich habe ihm nichts Böses getan,
das zu sagen wäre unwahr. Er ist ein großer Mensch und überaus geradlinig,
gegen ihn bin ich ein Dreck, ein Garnichts. Darin besteht meine Schuld.

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