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Boris Pasternak

Boris Pasternak

Titel: Boris Pasternak Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dr Shiwago
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attraktiv, majestätisch,
atemberaubend, mehr noch, als hätte er sie in Abendgarderobe angetroffen,
bereit, zum Ball zu gehen, gleichsam größer geworden auf den hohen Absätzen, in
tief ausgeschnittenem Kleid und raschelnden weiten Röcken.
    Sie kochte
oder wusch, und mit dem übriggebliebenen Seifenwasser wischte sie die Fußböden.
Manchmal war sie auch ruhiger und weniger erhitzt, wenn sie plättete und ihre,
seine und Katenkas Wäsche ausbesserte. War sie mit dem Kochen, Waschen und
Putzen schon fertig, so unterrichtete sie Katenka. Mitunter saß sie auch in ein
Lehrbuch vertieft und widmete sich ihrer eigenen politischen Umerziehung, da
sie vorhatte, als Lehrerin in die neue, umgestaltete Schule einzutreten.
    Je näher
ihm diese Frau und das Mädchen standen, desto weniger wagte er, sie als seine
Familie zu betrachten, und desto strenger war das Verbot, das die Pflicht vor
der eigenen Familie und der Schmerz wegen der gebrochenen Treue seiner
Denkweise auferlegte. Diese Selbstbeschränkung hatte für Lara und Katenka
nichts Kränkendes. Im Gegenteil, seine nichtfamiliäre Fühlweise barg in sich
eine ganze Welt von Ehrfurcht und schloß Hemdsärmeligkeit und plumpe
Vertraulichkeit aus.
    Dennoch
quälte und schmerzte ihn diese Spaltung, an die er sich gewöhnt hatte wie an
eine nicht verheilende, oft aufbrechende Wunde.
     
    So
vergingen zwei oder drei Monate. Einmal im Oktober sagte Shiwago zu Lara:
»Weißt du, ich glaube, ich muß meine Arbeit aufgeben. Es ist die alte, ewig
wiederkehrende Geschichte. Anfangs könnte es gar nicht besser sein. >Wir
freuen uns immer über ehrliche Arbeit. Über neue Ideen besonders. Die begrüßen
wir sehr. Herzlich willkommen. Arbeiten Sie, kämpfen Sie, forschen Sie.<
    Bei Lichte
besehen zeigt sich jedoch, daß sie unter Ideen nur deren Anschein verstehen,
das Wortgeklingel zur Verherrlichung der Revolution und der Machthaber. Das ist
quälend und fällt mir auf die Nerven. Darauf verstehe ich mich nicht.
    Wahrscheinlich
haben die sogar recht. Natürlich bin ich nicht für die. Ich kann mich nicht
damit abfinden, daß sie Helden sein sollen, lichte Persönlichkeiten, ich
dagegen ein kleines Seelchen, das für Unwissenheit und Versklavung des
Menschen steht. Hast du schon mal von Nikolai Wedenjapin gehört?«
    »Aber ja.
Schon bevor ich dich kannte und später oft aus deinen Erzählungen. Auch
Serafima Tunzewa erwähnt ihn häufig. Sie ist eine Anhängerin von ihm. Aber
seine Bücher habe ich zu meiner Schande nicht gelesen. Ich mache mir nichts aus
rein philosophischen Werken.
    Ich finde,
die Philosophie sollte eine sparsame Beigabe zur Kunst und zum Leben sein. Sich
ausschließlich mit ihr zu befassen wäre ebenso sonderbar, als wollte man nur
Meerrettich essen. Aber entschuldige, ich habe dich mit meinem dummen Gerede
abgelenkt.«
    »Nein, im
Gegenteil. Ich bin der gleichen Meinung. Das ist eine mir sehr verwandte Denkweise.
Ja, zu meinem Onkel. Vielleicht hat sein Einfluß mich wirklich verdorben. Aber
sie selber schreien ja im Chor: genialer Diagnostiker, genialer Diagnostiker.
Stimmt ja, ich irre mich selten bei einer Diagnose. Aber das kommt ja eben aus
der ihnen so verhaßten Intuition, die ich mir angeblich zuschulden kommen
lasse, aus dem ganzheitlichen Erkennen eines Bildes.
    Ich
interessiere mich brennend für Mimikry, die äußere Anpassung von Organismen an
die Farbe ihrer Umgebung. In dieser farblichen Angleichung ist ein erstaunlicher
Übergang von Äußerem zu Innerem verborgen.
    Ich habe
mir herausgenommen, dies in meinen Vorlesungen zu erwähnen. Und schon ging's
los! >Idealismus, Mystik. Naturphilosophie von Goethe,
Neoschellingianertum.<
    Ich muß
kündigen. Vom Gesundheitsamt und vom Institut gehe ich auf eigenen Wunsch; im
Lazarett will ich noch bleiben, bis sie mich wegjagen. Ich möchte dich nicht
ängstigen, aber manchmal habe ich das Gefühl, ich könnte jeden Moment verhaftet
werden.«
    »Gott
bewahre, Jura. Bis dahin ist es zum Glück noch lange hin. Aber du hast recht.
Es kann nicht schaden, vorsichtiger zu sein. Soweit ich sehe, macht diese
junge Macht mehrere Etappen durch. Am Anfang ist es der Triumph des Verstandes,
der kritische Geist, der Kampf gegen Vorurteile.
    Dann
beginnt die zweite Periode. Die dunklen Kräfte der Anbiederer, der vorgeblichen
Sympathisanten gewinnen die Oberhand. Es kommt zunehmend zu Verdächtigungen,
Denunziationen, Intrigen, Haß und Feindschaft. Du hast ganz recht, wir befinden
uns im Anfang der zweiten

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