Born to Run: Ein vergessenes Volk und das Geheimnis der besten und glücklichsten Läufer der Welt (German Edition)
überlegte er, und du könntest dein Bein strecken, auf der Ferse landen und den Schritt verlängern. In seinem Buch Jogging verglich er die Laufstile: Er räumte ein, dass beim bewährten »Plattfuß«-Schritt »die breite Oberfläche den Aufprall des Fußes dämpft und den übrigen Körper schont«. Dennoch hielt er an der Überzeugung fest, dass ein Abrollen von der »Ferse bis zum Zeh […] auf langen Strecken am wenigsten ermüden« würde. Wenn man den dafür geeigneten Schuh besaß.
Bowermans Marketing war brillant. »Ein und derselbe Mann schuf zunächst einen Markt für ein Produkt und dann das Produkt selbst«, stellte ein auf das Finanzwesen spezialisierter Kolumnist in Oregon fest. »Das ist genial, solche Dinge studieren sie an den Businessschools.« Bowermans Geschäftspartner, der vom Läufer zum Unternehmer gewordene Phil Knight, schloss in Japan einen Fertigungsvertrag ab und verkaufte schon bald mehr Schuhe, als die Fließbänder hergaben. »Mit der Polsterung des Cortez-Modells hatten wir im olympischen Jahr 1972 eine Monopolstellung inne«, sollte Knight sich später brüsten. Als sich die anderen Hersteller an die Entwicklung von Kopien des neuen Schuhs machten, war der Swoosh bereits eine Weltmacht.
Bowerman, hocherfreut über den Erfolg seiner Amateurentwürfe, ließ seiner Kreativität jetzt freien Lauf. Er dachte über einen wasserdichten, mit Fischhaut bezogenen Schuh nach, aber diese Idee starb auf dem Zeichenbrett. Dann brachte er den LD-1000 Trainer heraus, einen Schuh mit einer so breiten Sohle, dass man sich damit fühlte, als laufe man auf Kuchenformen. Bowerman überlegte, dass man damit die Pronation abstellen könnte; das gelang, aber zugleich wurden auch Knie und Knöchel geschädigt. Tragischerweise entdeckte diesen offenkundigen Mangel nicht Nike selbst mit der für den Hersteller gebotenen Sorgfalt; dies blieb den bemitleidenswerten Läufern überlassen, die den LD-1000 kauften und dann tatsächlich dafür bezahlten.
In Neuseeland betrachtete mittlerweile ein entsetzter Arthur Lydiard die prächtigen, aus Oregon stammenden Importe und fragte sich, was in aller Welt sein Freund da im Schilde führte. Lydiard war Bowerman als Lauftrainer weit überlegen. Er hatte viel mehr Olympiasieger und Weltrekordhalter betreut, und er hatte ein Trainingsprogramm entwickelt, das bis heute als vorbildlich gilt. Lydiard mochte Bill Bowerman und respektierte ihn auch als Trainer, aber mein Gott! Was für einen Schrott verkaufte er denn da?
Lydiard wusste, dass das ganze Gerede um die Pronation nur Marketinggeschwätz war. »Würde man eine x-beliebige Person eines beliebigen Alters bitten, die Schuhe auszuziehen und den Korridor hinunterzulaufen, würde man fast immer zu dem Ergebnis kommen, dass die Fußhaltung keinen Anhaltspunkt für Pronation oder Supination gibt«, klagte Lydiard. »Dieses seitliche Umknicken der Knöchel fängt erst an, wenn sich die Leute in diese Laufschuhe einschnüren, weil die Konstruktion vieler dieser Schuhe die natürliche Fußbewegung augenblicklich verändert.
Wir liefen mit Segeltuchschuhen«, fuhr Lydiard fort. »Wir bekamen keine Plantarsehnenentzündung, wir kannten weder Pronation noch Supination, bei Marathonläufen hatten wir wegen des rauen Segeltuchs vielleicht ein bisschen Hautabrieb, aber wir hatten im Großen und Ganzen keine Fußbeschwerden. Wer ein paar Hundert Dollar für die neuesten Hightech-Laufschuhe auf den Ladentisch legt, bekommt dafür keine Garantie, dass sich damit irgendeine dieser Verletzungen vermeiden lässt, es kann vielmehr garantiert werden, dass man sich auf die eine oder andere Art entsprechend verletzt.«
Sogar Bowerman selbst wurde schließlich von Zweifeln geplagt. Nike stand unter Volldampf und produzierte eine verwirrende Vielfalt von Schuhen und jährlich wechselnden Modellen, und der einzige Grund dafür war die ständige Erweiterung des Verkaufssortiments. Bowerman gewann dabei den Eindruck, dass sein ursprünglicher Auftrag – einen guten Schuh zu produzieren, der ein echtes Bedürfnis befriedigte – durch eine neue Ideologie verwässert worden war, die er in zwei Worten zusammenfasste: »Geld verdienen.« Nike, so klagte er in einem Brief an einen Kollegen, »verkauft eine Menge Scheiße.« Ein Zitat des Gesellschaftskritikers Eric Hoffer beeindruckte wohl selbst einen der Nike-Gründer: »Jede große Sache beginnt als Bewegung, verwandelt sich dann in ein Geschäft und wird schließlich zum organisierten
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