Born to Run: Ein vergessenes Volk und das Geheimnis der besten und glücklichsten Läufer der Welt (German Edition)
auf den es hierbei ganz besonders ankam, war der Busfahrer. Der einzige Weg nach Batopilas ist eine unbefestigte Straße, die sich am nackten Fels entlangschlängelt und auf einer Strecke von gut 15 Kilometern einen Höhenunterschied von 2100 Metern überwindet. Der Bus quälte sich durch die Haarnadelkurven, und wir hielten uns gut fest und sahen dabei tief unter uns die Wracks von Fahrzeugen, deren Fahrer sich um ein paar Zentimeter verrechnet hatten. Caballo sollte zwei Jahre später seinen eigenen Beitrag zu diesem Autofriedhof leisten, als der von ihm gelenkte Pick-up an den Fahrbahnrand und auf die Felskante geriet und schließlich abstürzte. Caballo gelang es mit knapper Not, aus dem Fahrzeug zu springen, und er sah zu, wie der Laster weit unten in der Tiefe explodierte. Teile des verkohlten Wracks fanden später dann als Glücksbringer Verwendung.
Der Bus hielt am Ortsrand an, wir stiegen steifbeinig aus, und unsere Gesichter hatten unterwegs eine Kriegsbemalung aus Staub und Schweißkrusten angelegt, so wie Caballo, als ich ihm zum ersten Mal begegnet war. »Da ist es!«, brüllte Caballo. »Das ist mein Zuhause.«
Wir sahen uns um, aber das einzige Gebäude in Sichtweite war die uralte Ruine einer Missionsstation auf der anderen Seite des Flusses. Das Dach war eingestürzt, und die Buntsandsteinmauern stürzten jetzt in den rötlichen Canyon zurück, in dem die Steine gebrochen worden waren. Die Anlage sah wie eine Sandburg aus, die jetzt wieder zu Sand zerfiel. Es war perfekt; Caballo hatte das ideale Zuhause für ein lebendes Gespenst gefunden. Ich konnte mir nur vorstellen, wie gespenstisch es wirken musste, wenn man hier abends in der Dunkelheit vorbeikam und seinen monströsen Schatten sah, der hinter seinem Lagerfeuer tanzte, während Caballo selbst wie Quasimodo die Ruinen durchstreifte.
»Wow, das ist wirklich etwas, äh, … Besonderes«, sagte ich.
»Nein, Mann«, antwortete er. »Dort drüben.« Er zeigte hinter uns, in Richtung eines kaum erkennbaren Ziegenpfades, der dort zwischen den Kakteen verschwand. Caballo begann zu klettern, und wir stiegen ihm nach und hielten das Gleichgewicht, indem wir uns am Gestrüpp festhielten, während wir uns den steinigen Pfad hinaufmühten.
»Verdammt, Caballo«, sagte Luis, »das ist die einzige Grundstückseinfahrt auf der ganzen Welt, für die man Wegmarkierungen und bei Kilometer drei eine Versorgungsstation braucht.«
Nach etwa 100 Metern gingen wir durch ein Dickicht wilder Limettenbäume und stießen auf eine kleine Hütte mit Lehmwänden. Caballo hatte sie aus vom Fluss bis hier heraufgeschleppten Felsbrocken errichtet, Hunderte Male hatte er auf dem tückischen Pfad diesen Weg begangen und sich dabei mit glitschigen Steinen aus dem Fluss abgemüht. Als Wohnstätte war dieser Ort für Caballo noch günstiger als die zerfallende Missionsstation; hier, in seiner selbstgebauten Festung der Einsamkeit, konnte er alles überblicken, was im Tal vor sich ging, ohne selbst gesehen zu werden.
Wir gingen in die Hütte und sahen dort Caballos Besitztümer: ein kleines Feldbett, einen Haufen zerschlissener Sportsandalen und drei oder vier Bücher über Crazy Horse und andere amerikanische Indianer auf einem kleinen Regal neben einer Kerosinlampe. Das war alles. Es gab keinen elektrischen Strom, kein fließendes Wasser, keine Toilette. Draußen, hinter der Hütte, hatte Caballo die Kakteen entfernt und so ein kleines, ebenes Plätzchen geschaffen, wo er sich ausruhen, etwas Entspannendes rauchen und in die unberührte Wildnis schauen konnte. Wie auch immer Barfuß-Teds sinnschweres Heidegger-Zitat lauten mochte, niemand passte jemals besser zu seinem Wohnort als Caballo zu seiner Hütte.
Caballo wollte uns unbedingt etwas zu essen verschaffen und uns außerdem versorgt wissen, sodass er Schlaf nachholen konnte. Die nächsten paar Tage würden uns das Äußerste abverlangen, und keiner von uns hatte seit El Paso besonders viel Schlaf bekommen. Er führte uns zurück, seinen versteckten Grundstückseingang hinunter und die Straße entlang, bis zu einem winzigen Lädchen, das über ein Fenster zur Straße hin betrieben wurde. Dort zeigte man sich einfach, und wenn der Ladenbesitzer Mario das Gewünschte vorrätig hatte, bekam man es auch. Oben, im ersten Stock, vermietete uns Mario ein paar kleine Zimmer, eine Kaltwasserdusche am Ende des Ganges war auch dabei.
Caballo wollte, dass wir nur das Gepäck abstellten und uns dann gleich zum Essen aufmachten,
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