Born to Run: Ein vergessenes Volk und das Geheimnis der besten und glücklichsten Läufer der Welt (German Edition)
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Jenni ist seitdem eine engagierte Läuferin geblieben, die lange Strecken zurücklegt, auch wenn Idaho von Schnee bedeckt ist. Vielleicht betreibt Jenni ja nur Selbstmedikation gegen tief in ihr verwurzelte Probleme, aber vielleicht fand sie einfach nur für alles, was ihr Sorgen bereitete, immer eine Lösung, wenn sie sich auf die eigenen Stärken besann.
Als ich mich jedoch drei Tage später das letzte Stück bergab quälte, konnte ich kaum mehr gehen. Ich humpelte in den Bach, saß dort, es brodelte in mir, und ich fragte mich, was mit mir nicht stimmte. Für eine Entfernung, die Caballos Laufstrecke entsprach, hatte ich drei Tage gebraucht, und jetzt hatte ich eine, vielleicht sogar zwei ramponierte Achillessehnen und spürte einen Schmerz in der Ferse, der sich auf verdächtige Art und Weise anfühlte wie der Vampirbiss unter den Läuferverletzungen: die Plantarsehnenentzündung.
Wenn sie sich erst einmal an den Fersen bemerkbar macht, ist man in Gefahr, sie ein Leben lang nicht mehr loszuwerden. Wer sich in irgendeinem Internetforum für Läufer umsieht, stößt garantiert auf eine ganze Reihe in flehentlichem Ton gehaltene Threads von Plantarsehnenverletzten, die um Tipps für die Heilung bitten. Und alle, die sich hier beteiligen, sind schnell mit den üblichen Abhilfen zur Hand – mit über Nacht anzulegenden Lagerungsschienen, elastischen Socken, Ultraschall, Elektroschocks, Kortison, Einlagen -, aber es kommen immer neue Nachrichten dieser Art, weil keines der empfohlenen Mittel wirklich zu helfen scheint.
Wie konnte Caballo mit schäbigen alten Sandalen Gefällstrecken bewältigen, die länger waren als ein Abstieg im Grand Canyon, während ich keine paar Monate mit einem leichten Laufpensum durchstand, ohne einen größeren Zusammenbruch zu erleben? Wilt Chamberlain brachte noch mit 60 Jahren, mit seinen 2,16 Meter Körpergröße und einem Gewicht von 125 Kilo, ohne Probleme einen 80-Kilometer-Lauf hinter sich, nachdem seine Knie ein ganzes Basketballer-Leben überstanden hatten. Und ein norwegischer Seemann namens Mensen Ernst, der kaum mehr wusste, was Festland war, als er es im Jahr 1832 wieder betrat, rannte dennoch wegen einer Wette von Paris bis nach Moskau, schaffte dabei 14 Tage lang einen Tagesdurchschnitt von 210 Kilometern, und nur der Himmel weiß, was für klobige Treter er dabei trug und wie die Straßen beschaffen waren, auf denen er sich bewegte.
Und für Mensen war das nur eine leichte Aufwärmübung, bevor er später dann richtig ernst machte: Er lief von Konstantinopel bis nach Kalkutta, 145 Kilometer pro Tag, und das zwei Monate lang. Es war nun nicht so, dass er gar keine Ermüdungserscheinungen gezeigt hätte: Er musste sich drei ganze Tage lang ausruhen, bevor er den 8700 Kilometer langen Nachhauseweg antrat. Warum litt Mensen dann nie an einer Plantarsehnenentzündung? Soweit hätte es nicht kommen können, denn seine Beine waren ein Jahr später in einem ausgezeichneten Zustand, als er beim Versuch, bis zur Quelle des Nils zu laufen, an einer Durchfallerkrankung starb.
Wo immer ich mich auch kundig zu machen versuchte: Überall schienen kleine Gruppen weiser Superläufer aus dem Verborgenen aufzutauchen. Die 13-jährige Mackenzie Riford lief in Maryland, nur ein paar Kilometer von meinem Wohnort entfernt, gemeinsam mit ihrer Mutter und mit Freuden (»Es hat Spaß gemacht!«) das JFK-80-Kilometer-Rennen, während ein Mann namens Jack Kirk – den man auch als »Dipsea Demon« kannte – noch mit 96 Jahren das höllisch anstrengende Dipsea Trail Race anging. Das Rennen beginnt mit einem 671 Stufen zählenden Anstieg in felsigem Gelände, und das bedeutete, dass ein Mann, der fast halb so alt wie Amerika war, eine der Höhe von 50 Stockwerken entsprechende Treppe zu bewältigen hatte, bevor das Rennen dann in die Wälder führte. »Man hört nicht mit dem Laufen auf, weil man alt wird«, sagte der Dämon. »Man wird alt, weil man mit dem Laufen aufhört.«
Was also war mit mir los? Ich war jetzt in einer schlechteren Verfassung als zu Beginn. Nicht nur ein Rennen mit den Tarahumara war für mich unmöglich, ich bezweifelte, dass mich meine plantarsehnenentzündeten Füße auch nur bis zur Startlinie tragen würden.
»Du bist wie all die anderen«, sagte mir Eric Orton. »Du weißt nicht, was du tust.«
Ein paar Wochen nach meinem Debakel in Idaho hatte ich Eric für einen Zeitschriftenartikel interviewt. Er arbeitete als Trainer für
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