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Born to Run: Ein vergessenes Volk und das Geheimnis der besten und glücklichsten Läufer der Welt (German Edition)

Born to Run: Ein vergessenes Volk und das Geheimnis der besten und glücklichsten Läufer der Welt (German Edition)

Titel: Born to Run: Ein vergessenes Volk und das Geheimnis der besten und glücklichsten Läufer der Welt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher McDougall
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diese Passage an, als ob er den ganzen Tag darauf gewartet hätte, er rannte fast senkrechte Teilstücke hinauf, auf denen die meisten Läufer ihre Knie mit den Händen wieder durchdrücken müssen.
    Ganz vorn näherte sich Ann jetzt dem Gipfel, aber ihre Augen waren vor Erschöpfung fast geschlossen, als ob sie es nicht ertragen könnte, das letzte Steilstück auch nur anzusehen. Juan holte bei jeder Kehre weiter auf – bis er plötzlich und unvermittelt abbremste und dabei auf einem Bein hüpfte. Es gab einen Rückschlag: Ein Sandalenriemen war gerissen, und er hatte keinen Ersatz bei sich. Als Ann den Bergkamm erreichte, setzte sich Juan auf einen Felsen und prüfte, was vom defekten Riemen noch übrig war. Er band die Sandale neu und stellte fest, dass gerade noch genügend Riemenlänge übrig war, um die Sandale an seinem Fuß festzuhalten. Er verknotete den verkürzten Riemen sorgfältig und machte ein paar prüfende Schritte. Gut genug zum Weiterlaufen.
    Ann war inzwischen auf der Zielgeraden angekommen. Sie hatte nur noch 16 Kilometer sanft gewellten, unbefestigten Weges rund um den Turquoise Lake vor sich, bis sie die Anfeuerungsrufe der Partymeute in der Sixth Street die leichte Steigung zur Ziellinie hinauftreiben würden. Es war kurz nach 20 Uhr abends, die Dunkelheit senkte sich auf den Wald, der sie umgab – und genau zu diesem Zeitpunkt brach irgendetwas zwischen den Bäumen hinter ihr hervor. Das geschah so schnell, dass Ann nicht einmal reagieren konnte. Sie war zu überrascht, um sich noch bewegen zu können, verharrte mitten auf dem Weg, Juan ging mit einem langen Schritt links an ihr vorbei und war mit dem nächsten Schritt wieder auf dem Weg, sein weißes Cape umwehte ihn, als er an Ann vorüberhuschte und auf dem Pfad entschwand.
    Er sah nicht einmal müde aus! Er sah so aus, als ob er sich einfach nur … vergnügte! Ann war so entmutigt, dass sie beschloss, aus dem Rennen auszusteigen. Sie war weniger als eine Stunde von der Ziellinie entfernt, aber die Tarahumara-Lauffreude, die Joe Vigil so nachhaltig beeindruckt hatte, warf sie völlig aus der Bahn. Alles hatte sie aus sich herausgeholt, um die Führung zu verteidigen, und dieser Typ sah aus, als hätte er sie nach Belieben abfangen können. Es war erniedrigend; jetzt begriff sie, dass Juan bereits in dem Augenblick, in dem sie das Damenopfer angeboten hatte, an den entscheidenden Zug gedacht hatte, der sie matt setzen würde. Ihr Mann motivierte sie schließlich zum Weiterlaufen, gerade noch rechtzeitig; Martimano und die übrigen Tarahumara schlossen zügig auf.
    Juan lief nach 17 Stunden und 30 Minuten über die Ziellinie und verbesserte damit den Leadville-Rekord um 25 Minuten. (Er sorgte noch für eine weitere Neuerung, indem er sich zaghaft unter das Zielband duckte, anstatt es mit der Brust zu zerreißen, denn er hatte noch nie eines gesehen.) Ann kam etwas mehr als eine halbe Stunde später ins Ziel, mit einer Zeit von 18 Stunden und 6 Minuten. Unmittelbar hinter ihr belegte Martimano mit seinem verhexten Knie den dritten Platz, und Manuel Luna und die restlichen Tarahumara erreichten die Plätze vier, fünf, sieben, zehn und elf.
    »Wow, was für ein Rennen!«, schwärmte Scott Tinley stellvertretend für die Fernsehzuschauer, als er Ann Trason ein Mikrofon vor die Nase hielt. Sie blinzelte in die Kamerascheinwerfer, sah aus, als ob sie kurz vor einer Ohnmacht stünde, mobilisierte aber den letzten Rest ihres Kampfgeistes.
    »Manchmal braucht es eine Frau, um einem Mann seine Bestleistung zu entlocken.«
    Hey, und dir geht’s umgekehrt genauso, hätten die Tarahumara erwidern können; bei ihrem heroischen Versuch, ganz allein ein komplettes Team von Langstreckenlauf-Experten zu besiegen, hatte Ann ihre eigene Leadville-Bestmarke pulverisiert und um mehr als zwei Stunden verbessert. Damit hatte sie einen neuen Frauenrekord aufgestellt, der bis zum heutigen Tag Bestand hat.
    Aber die Tarahumara hatten in diesem Augenblick nicht die Möglichkeit irgendetwas zu sagen, selbst wenn sie dazu geneigt gewesen wären. Als sie die Rennstrecke hinter sich gebracht hatten, gerieten sie in einen Riesenkrach.
    Das hätte eigentlich ihr ganz besonderer Tag sein sollen. Endlich, nach Jahrhunderten des Grauens und der Furcht, nachdem sie wegen ihrer Skalps gejagt, wegen ihrer körperlichen Kraft versklavt und wegen ihres Landes bedrängt worden waren, respektierte man die Tarahumara. Sie hatten sich als die unumstritten besten

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