Born to Run: Ein vergessenes Volk und das Geheimnis der besten und glücklichsten Läufer der Welt (German Edition)
Ultralangstreckenlauf führen alle Wege zu Don Allison in Weymouth im Bundesstaat Massachusetts. Don Allison ist die Anlaufstelle für jedes Gerücht, jedes Rennergebnis und jeden neuen Star in dieser Sportart, er wusste alles und kannte alle, und deshalb war das erste Wort aus seinem Mund für mich eine doppelte Enttäuschung:
»Was?«
»Ich glaube, man kennt ihn auch unter dem Namen Micah True«, sagte ich. »Aber ich bin mir nicht sicher, ob das wirklich sein Name ist oder nur der seines Hundes.«
Stille.
»Hallo?«, sagte ich.
»Ja, warten Sie mal«, antwortete Allison schließlich. »Ich habe nur was gesucht. Also, der Mann ist echt?«
»Sie meinen, ob er ernst zu nehmen ist?«
»Nein, ich frage, ob es ihn gibt . Existiert er tatsächlich?«
»Ja, diesen Mann gibt es. Ich hab ihn in Mexiko aufgespürt.«
»Okay«, sagte Allison. »Ist er denn verrückt?«
»Nein, er ist …« Jetzt musste ich kurz innehalten. »Ich glaube nicht.«
»Ich frage das, weil mir ein Typ unter diesem Namen ein paar Artikel geschickt hat. Danach hab ich gesucht. Und ich muss Ihnen sagen, dass man diese Texte einfach nicht drucken konnte.«
Das war nun wirklich aufschlussreich. UltraRunning ist keine gewöhnliche Zeitschrift, der Stil der Beiträge gleicht eher den redseligen Familienbriefen, die manche Menschen anstelle von Weihnachtskarten verschicken. Möglicherweise bis zu 80 Prozent jeder Ausgabe bestehen aus Namenslisten und Zeiten, aus den Ergebnissen von Rennen, von denen nie jemand gehört hat und die an Orten stattfanden, die außer den Ultralangstrecklern kaum ein Mensch finden würde. Neben den Rennberichten enthält jede Ausgabe ein paar unaufgefordert eingereichte Beiträge, in denen aktive Läufer von ihrer aktuellen fixen Idee erzählen, sie schreiben zum Beispiel über »Die Bestimmung des optimalen Hydratationsbedarfs mithilfe der Waage« oder »Kombinationen von Stirn- und Taschenlampe«. Es versteht sich also von selbst, dass es keineswegs einfach ist, von UltraRunning eine Ablehnung zu bekommen, deshalb traute ich mich kaum zu fragen, worüber sich Caballo, der in seiner Steinhütte so isoliert lebte wie einst der Unabomber, geäußert hatte.
»Waren das Drohungen oder irgendetwas in dieser Art?«
»Nee«, sagte Allison. »Es hatte nur nichts mit Laufen zu tun. Es klang eher wie ein Vortrag über Brüderlichkeit und Karma und gierige Gringos.«
»War vielleicht die Rede von diesem Rennen, das er plant?«
»Ja, es ging um irgendein Rennen mit den Tarahumara. Aber nach meinem Eindruck ist er der Einzige, der da mitmacht. Er und etwa drei Indianer.«
Auch Coach Joe Vigil hatte noch nie von Caballo gehört. Ich hatte gehofft, dass sie sich vielleicht an jenem denkwürdigen Tag in Leadville oder später dann in den Barrancas begegnet waren. Aber Coach Vigils Leben hatte unmittelbar nach dem Leadville-Rennen eine plötzliche und dramatische Wendung genommen. Das begann mit einem Anruf: Eine junge Frau war am Apparat, sie fragte, ob er ihr bei der Qualifikation für die Olympischen Spiele helfen könne. Am College hatte sie ein ordentliches Talent bewiesen, aber dann hatte sie vom Laufen so die Nase voll gehabt, dass sie es ganz aufgegeben und daran gedacht hatte, ein Bäckerei-Café aufzumachen. Es sei denn, Coach Vigil wäre der Ansicht, dass sie es noch einmal versuchen sollte …?
Vigil ist ein herausragender Motivator, also wusste er schon, was hier zu sagen war: Vergessen Sie’s. Machen Sie lieber Mochaccinos. Deena Kastor (damals noch Drossin) klang wie ein nettes Mädchen, aber es war überhaupt nicht daran zu denken, dass sie mit Vigil zusammenarbeiten könnte. Sie war ein Strandmädel aus Kalifornien, das von zu Hause aus startete und unter der warmen pazifischen Sonne die Laufwege von Santa Monica erkundete. Vigils Training war eher auf spartanische Krieger zugeschnitten – es war ein »Survival-of-the-fittest«-Programm, das eine mörderische Trainingsbelastung mit sich brachte, die gut zu den eiskalten, windigen Bergen von Colorado passte.
»Ich versuchte es ihr auszureden, weil Alamosa kein kalifornisches Städtchen ist«, sollte Vigil später sagen. »Es liegt ein bisschen abgeschieden, es ist in den Bergen, und es wird kalt dort – manchmal bis zu minus fünfunddreißig Grad Celsius. Dort halten nur die zähesten Läufer durch.« Deena reiste dennoch an, und Vigil war so freundlich, ihre Hartnäckigkeit durch einen Test ihrer Grundlagenausdauer und ihres Trainingspotenzials zu
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