Born to Run: Ein vergessenes Volk und das Geheimnis der besten und glücklichsten Läufer der Welt (German Edition)
Nicht irgendein Selbstdarsteller, der die Tarahumara zur Werbung in eigener Sache benutzen würde, sondern ein wahrer Beobachter des Sports, der auch die Kunstfertigkeit und Mühe anerkannte, die sich noch im Auftritt des langsamsten Läufers zeigte. Caballo brauchte keinen weiteren Beweis für Scott Jureks Würdigkeit, aber er bekam ihn dennoch: Zum Schluss des Interviews wurde Jurek nach seinen Vorbildern gefragt, und er nannte die Tarahumara. »Als Inspiration«, war dem Artikel zu entnehmen, »wiederholt er ein Sprichwort der Tarahumara-Indianer: ›Wenn du auf der Erde läufst und mit der Erde läufst, dann kannst du ewig laufen.‹«
»Siehst du!«, sagte Caballo mit Nachdruck. »Er hat eine Rarámuri-Seele.«
Aber Moment mal … »Selbst wenn Scott Jurek seine Teilnahme zusagt, was ist mit den Tarahumara?«, fragte ich. »Werden sie darauf eingehen?«
»Vielleicht«, antwortete Caballo mit einem Schulterzucken. »Arnulfo Quimare ist der Mann, den ich dabeihaben will.«
Dieser Plan würde niemals gelingen. Ich wusste aus eigener Erfahrung, dass Arnulfo mit einem Außenstehenden kaum jemals sprechen würde, von einem einwöchigen Zusammensein mit solchen Leuten und der Anführung einer Läufergruppe auf den verborgenen Pfaden seiner Heimat ganz zu schweigen. Ich bewunderte Caballos inhaltliches Konzept wie auch seinen Ehrgeiz, zweifelte aber ernsthaft an seinem Realitätssinn. Kein amerikanischer Läufer wusste, wer er war, und die meisten Tarahumara waren sich nicht sicher, was er war. Aber er erwartete, dass sie ihm alle vertrauten?
»Ich bin mir ziemlich sicher, dass Manuel Luna mitmacht«, fuhr Caballo fort. »Vielleicht sogar mit seinem Sohn.«
»Marcelino?«, fragte ich.
»Ja«, sagte Caballo. »Er ist gut.«
»Er ist klasse.«
Vor meinem geistigen Auge sah ich immer noch die jugendliche Menschliche Fackel, die so schnell über diesen Fußpfad huschte wie eine Stichflamme über eine Sicherung züngelt. Nun, wen interessierte es in diesem Fall schon, ob Scott Jurek oder irgendwelche anderen Starläufer aufkreuzten? Schon die bloße Gelegenheit, wieder Seite an Seite mit Manuel und Marcelino und Caballo zu laufen, sollte die Sache wert sein. Caballos und Marcelinos Laufstil kam dem Fliegen so nahe, wie es einem Menschen nur gelingen konnte. Auf den Trails dort draußen in der Umgebung von Creel hatte ich einen kleinen Vorgeschmack bekommen, und ich wollte mehr. Es war ein Gefühl, als ob man einen Zentimeter weit vom Boden wegkam, indem man heftig mit den Armen wedelte – wie konnte man danach an irgendetwas anderes denken als an einen erneuten Versuch?
»Ich kann es schaffen«, sagte ich zu mir selbst. Caballo war bei seiner Ankunft hier in derselben Lage gewesen wie ich jetzt; er war ein Typ über 40 mit stark lädierten Beinen, und innerhalb eines Jahres wandelte er sich zum Skywalker auf Berggipfeln. Wenn ihm das gelang, warum nicht auch mir? Konnte ich, wenn ich die Lauftechnik einsetzte, die er mir beigebracht hatte, stark genug werden, um 80 Kilometer weit durch die Copper Canyons zu laufen? Die Chancen, dass sein Rennen nicht stattfand, standen bei etwa … eigentlich gab es keine Chancen. Die Sache lief nicht. Aber wenn es ihm auf irgendeine wundersame Weise gelang, ein Rennen mit den besten Tarahumara-Läufern dieser Generation zu veranstalten, dann wollte ich dabei sein.
Bei der Rückkehr nach Creel gaben wir beide uns die Hand.
»Danke für den Unterricht«, sagte ich. »Du hast mir eine Menge beigebracht.«
»Hasta luego, norawa«, antwortete Caballo. Bis zum nächsten Mal, Kumpel. Und dann war er fort.
Ich sah ihm nach. Es hatte etwas unglaublich Trauriges, zugleich aber auch etwas unglaublich Erhebendes, diesem Propheten der uralten Kunst des Langstreckenlaufs dabei zuzusehen, wie er allem den Rücken zuwandte, allem mit Ausnahme seines Traums, und in Richtung des »besten Orts zum Laufen auf der ganzen Welt« davonging.
Allein.
18
»Sagt Ihnen der Name Caballo Blanco etwas?«
Nach meiner Rückkehr aus Mexiko rief ich Don Allison an, den langjährigen Herausgeber der Zeitschrift UltraRunning . Caballo hatte zwei Details aus seiner Vergangenheit erwähnt, die zu recherchieren sich lohnte: Er hatte irgendeine Kampfsportart professionell betrieben und ein paar Ultralangstreckenläufe gewonnen. Recherchen zu Kampfsportarten sind mit irrsinnigen Schwierigkeiten verbunden, was an dem verwirrenden Durcheinander von Disziplinen und Fachverbänden liegt, aber beim
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