Born to Run: Ein vergessenes Volk und das Geheimnis der besten und glücklichsten Läufer der Welt (German Edition)
Trails ablaufen.«
»Seine Gehirnwäsche funktioniert bei dir schon!«, spottete Luis. »Der Kult des Weißen Pferdes.«
»Das hat nichts mit ihm zu tun«, wehrte sich Billy. »Es ist der Ort.«
»Mein Kleines Pony«, meinte Jenn mit einem tückischen Grinsen. »Du siehst Caballo ähnlich.«
Scott beobachtete Barfuß-Ted sehr genau, während diese Neckerei noch im Gang war. Der Pfad schlängelte sich durch ein felsiges Stück, aber Ted wurde kein bisschen langsamer, obwohl wir von Felsblock zu Felsblock hüpfen mussten.
»Mann, was hast du denn da für Dinger an den Füßen?«, wollte Jenn wissen.
»Vibram FiveFingers«, lautete die Antwort. »Sind sie nicht klasse? Ich bin der erste Athlet, der von ihnen gesponsort wird.«
Ja, das stimmte. Ted war Amerikas erster professioneller Barfußläufer der Moderne geworden. FiveFingers war als Deckschuh für Rennjachten entwickelt worden; die dahinterstehende Idee war gewesen, auf rutschigen Oberflächen einen besseren Halt zu haben, ohne dabei auf das Barfußgefühl verzichten zu müssen. Man musste genau hinschauen, um sie auch nur zu sehen; sie schmiegten sie so perfekt um Teds Fußsohlen und jeden einzelnen Zeh, dass man den Eindruck gewann, er habe die Unterseite seiner Füße in grünliche Tinte getaucht. Kurz vor der Reise in die Copper Canyons hatte er im Internet ein Foto der FiveFingers entdeckt und sofort zum Telefon gegriffen. Irgendwie hatte er es geschafft, durch das Labyrinth der Telefonzentrale und der Sekretariate bis zum Vorstandsvorsitzenden von Vibram USA vorzudringen, und das war niemand anderes als …
Tony Post! Der frühere Rockport-Manager, der in Leadville die Tarahumara gesponsert hatte!
Tony hörte Ted zu, hatte aber erhebliche Bedenken. Es war keineswegs so, dass ihm die Idee nicht gefiel, sich auf die Stärke des Fußes zu verlassen anstatt auf Superpolsterung und Motion Control zu setzen; Tony lief sogar den Boston Marathon mit Rockport-Halbschuhen, um zu zeigen, dass es nur auf Bequemlichkeit und gute Konstruktion ankam, nicht auf das ganze Stoßdämpfungs/Antipronations/ Gelpolster-Gerede. Aber Rockport-Halbschuhe hatten wenigstens eine Wölbung und eine gepolsterte Sohle; die FingerFingers waren eigentlich nur eine Gummischeibe, ein Zehenschuh mit Klettbändern. Tony war dennoch begeistert und beschloss, die Sache selbst auszuprobieren. »Ich hatte einen gemütlichen Eineinhalb-Kilometer-Lauf im Sinn«, erzählt er. »Schließlich wurden es elf Kilometer. Ich hätte nicht gedacht, dass der FiveFinger als Laufschuh taugt, aber nach dieser Erfahrung konnte ich mir gar nichts anderes mehr als Laufschuh vorstellen.« Als er nach Hause kam, stellte er einen Scheck aus, mit dem Barfuß-Teds Reisekosten für den Boston Marathon gedeckt waren.
Wir waren oben auf der Mesa zehn Kilometer gelaufen und bereits auf dem Rückweg nach Creel, als sich in der Ferne ein schmaler schwarzer Schatten von den Bäumen löste und uns entgegenkam.
»Ist das Caballo?«, fragte Scott.
Jenn und Billy hielten kurz Ausschau und schossen ihm dann entgegen wie Jagdhunde, die man von der Leine gelassen hatte. Barfuß-Ted und Luis machten sich an die Verfolgung. Scott blieb zunächst bei uns, aber sein Rennpferdinstinkt ließ ihn unruhig werden. Er warf Eric und mir einen verständnisheischenden Blick zu. »Macht es euch etwas aus, wenn ich …?«, fragte er.
»Kein Problem«, sagte ich. »Schnapp sie dir.«
»Cool.« Als das »-ool« verklungen war, war er schon gut fünf Meter weit weg, und seine Haare flatterten wie die Fähnchen am Lenker eines Kinderfahrrads.
»Scheiße«, murmelte ich. Scotts Antritt erinnerte mich unwillkürlich an Marcelino. Scott hätte an diesem Jungen so viel Freude gehabt. Jenn und Billy ebenso, sie hätten sich liebend gern mit ihrem jugendlichen Tarahumara-Drilling zusammengetan. Ich konnte mir sogar Manuel Lunas Gefühle vorstellen. Nein, das stimmte nicht. Ich wehrte mich nur heftig gegen solche Gedanken. Das Böse war den Tarahumara bis hierher gefolgt, bis auf den Grund der Erde, wo kein Platz mehr zum Weglaufen blieb. Noch in der Trauerzeit für seinen wunderbaren Sohn musste Manuel sich fragen, welches seiner Kinder als nächstes an der Reihe sein würde.
»Brauchst du eine Pause?«, fragte Eric. »Wie geht’s dir denn?«
»Nein, mir geht’s gut. Ich war nur in Gedanken.«
Caballo kam näher. Nach der kurzen Begegnung mit den anderen lief er weiter in unsere Richtung, während der Rest der Gruppe eine kurze
Weitere Kostenlose Bücher