Born to Run: Ein vergessenes Volk und das Geheimnis der besten und glücklichsten Läufer der Welt (German Edition)
hatte eine Bombe im Gepäck. Er berichtete: »Bei Testpersonen, die harte und weiche Schuhe ausprobierten, wurde kein Unterschied bei den Aufprallkräften festgestellt.« Kein Unterschied! »Und seltsamerweise«, fügte er hinzu, »war der zweite, auf die Vorwärtsbewegung bezogene Spitzenwert bei der vertikalen Bodenreaktionskraft bei weichen Schuhen höher.«
Die verwirrende Schlussfolgerung lautete: Der Schutz ist umso geringer, je stärker der Schuh gepolstert ist.
Wissenschaftler des Medizinischen Labors für Biomechanik und Sport an der Universität von Oregon kamen zum gleichen Ergebnis. Sie zeigten 1988 in einem Beitrag für das Journal of Orthopaedic & Sports Physical Therapy: Wenn Laufschuhe abgenutzt wurden und ihre Polsterung sich verhärtete, stabilisierten sich die Füße der Läufer und waren weniger wackelig. Es sollte etwa zehn Jahre dauern, bis Wissenschaftler eine Erklärung dafür hatten, dass die alten Schuhe, die man nach den Empfehlungen der Sportartikelhersteller eigentlich wegwerfen sollte, besser waren als die neuen, zu deren Kauf sie dringend rieten. Dr. Steven Robbins und Dr. Edward Waked von der McGill University in Montreal stellten bei einer Versuchsreihe mit Turnern fest, dass diese bei der Landung umso härter abbremsten, je dicker die Bodenmatte war. Die Turner bemühten sich instinktiv um Stabilität. Wenn sie unter den Füßen einen weichen Belag spürten, landeten sie hart und mit großer Körperspannung, um das Gleichgewicht zu sichern.
Robbins und Waked stellten fest, dass sich Läufer genauso verhielten: So wie die Arme automatisch nach oben gehen, wenn man auf Eis ausgleitet, so werden Beine und Füße instinktiv hart aufgesetzt, wenn sie unter der Fußsohle etwas Weiches, Nachgiebiges spüren. Wenn man mit gepolsterten Schuhen läuft, versuchen die Füße, durch die Sohlen hindurch eine harte, stabile Unterlage zu finden.
»Wir schließen daraus, dass zwischen Gleichgewicht und vertikaler Aufprallkraft ein enger Zusammenhang besteht«, schrieben die McGill-Doktoren. »Nach unseren Ergebnissen sind die gegenwärtig erhältlichen Sportschuhe […] zu weich und zu dick und sollten überarbeitet werden, wenn sie die Gesundheit der Sportlerinnen und Sportler schützen sollen.«
Ein Erlebnis, das ich in der Klinik für Laufverletzungen hatte, konnte ich mir erst erklären, als ich diese Studie las. In der Klinik war ich über eine Messplatte gelaufen, hin und her und abwechselnd mit bloßen Füßen, einem superdünnen Schuh und den gut gepolsterten Nike Pegasus. Jedes Mal, wenn ich die Schuhe wechselte, änderten sich auch die Aufprallkräfte – aber nicht so, wie ich es erwartet hatte. Barfuß waren sie am geringsten, mit den Pegasus am größten. Auch mein Laufstil änderte sich: Mit dem Schuhwerk wechselte ich instinktiv auch die Art des Aufsetzens. »Mit dem Pegasus werden Sie sehr viel deutlicher zum Fersenläufer«, stellte Dr. Irene Davis fest.
David Smyntek beschloss, die Theorie der Aufprallkräfte mit einem einzigartigen eigenen Experiment zu überprüfen. Smyntek, selbst aktiver Läufer und ein auf Akutrehabilitation spezialisierter Physiotherapeut, war argwöhnisch, wenn die Leute, die ihm sagten, er müsse neue Schuhe kaufen, zugleich die Verkäufer waren. Schon seit vielen Jahren hatten ihm Runner’s World und sein örtliches Laufsportgeschäft nahegelegt, er müsse seine Schuhe alle 500 bis 800 Kilometer ersetzen. Aber wie konnte es dann sein, dass der Brite Arthur Newton, einer der größten Ultralangstreckenläufer aller Zeiten, keinen Grund sah, seine Schuhe, die nur dünne Gummisohlen hatten, zu ersetzen, bevor er nicht mindestens 6500 Kilometer mit ihnen gelaufen war? Newton gewann in den 1920er Jahren nicht nur fünfmal das Comrades-Rennen (55 Meilen, knapp 90 Kilometer), im Alter von 51 Jahren hatte er immer noch so flinke Beine, dass er beim 100-Meilen-Rennen von Bath nach London eine neue Bestmarke setzte.
Also beschloss Smyntek, zu prüfen, ob er Newton nicht noch übertreffen konnte. Er fragte sich: »Wenn meine Schuhe nur auf einer Seite abgenutzt sind – wie wär’s, wenn ich sie dann am falschen Fuß trage?« So begann das »Crazy Foot Experiment«: Wenn seine Schuhe auf der Außenseite abgelaufen waren, vertauschte Dave den rechten und den linken Schuh und lief weiter. »Man muss sich in den Mann hineinversetzen«, sagt Ken Learman, einer von Daves Physiotherapeutenkollegen. »Dave ist kein Mittelmaß. Er ist neugierig, klug und nicht der
Weitere Kostenlose Bücher