Bosmans/Deleu 01 -Nackte Seelen
mit!«
Das Geplauder der Ermittler sowie das Gelächter, das hier und da zu hören war, verstummten, als Jos Bosmans in den Hörsaal stürmte.
»Meine Damen und Herren, ich bitte um Ihre Aufmerksamkeit.«
Sofort war es mucksmäuschenstill. Bosmans hatte nichts von seiner autoritären Ausstrahlung verloren.
Deleus Blick schwankte zwischen unverhohlener Bewunderung und Neid.
»Ich begrüße heute Dirk Deleu, den die meisten von Ihnen ja gut kennen. Dirk wird uns bei den Ermittlungen im Mordfall Poulders unterstützen. Bis jetzt stehen wir noch ganz am Anfang, aber ich hoffe, das wird sich schon bald ändern.«
Aus dem Hintergrund ertönte ein unterdrücktes, aber nicht zu überhörendes, verächtliches Lachen. Jan Verstappen, der zukünftige Schwiegersohn von Staatsanwalt Verspaille und Leiter der Ermittlungen in diesem unerquicklichen Fall, grinste breit. Bosmans schaute ihn durchdringend an, sagte aber nichts. Das Kichern verstummte.
»Okay, Dirk, dann lass mal deine Version des Tathergangs hören«, sagte Bosmans und ging einen Schritt beiseite.
Deleu schluckte und trat widerstrebend ans Rednerpult. Er hasste solche Situationen, diese archaischen Polizeiriten. Er räusperte sich ausgiebig.
»Guten Morgen, meine Herren. Was ich zu sagen habe, ist sicher nicht der Weisheit letzter Schluss, aber ich habe eine bestimmte Theorie und wünsche, dass sie anhand der Indizien überprüft wird. Meiner Meinung nach spielte der Täter makabere Spielchen, bevor er die Familie ermordete. Diese Spielchen, die er sorgfältig zu verbergen versuchte, bilden den roten Faden meiner Theorie.«
Deleu legte eine kurze Pause ein. Niemand rührte sich. Er spürte, wie sein Selbstvertrauen wuchs.
»Meine Herren, der Täter hat sich in der Villa dort in Muizen prächtig amüsiert.«
Unterdrücktes Fluchen im Saal. Deleu konnte es nicht einordnen.
»Vermutlich hat sich der Tathergang wie folgt abgespielt.
Erstens: Der Täter betritt das Haus, ohne Einbruchsspuren zu hinterlassen, also war entweder die Garagentür nicht abgeschlossen, oder er klingelte an der Haustür und Mevrouw Poulders ließ ihn ein.
Zweitens: Er überwältigt Mevrouw Poulders und sperrt sie im Wäscheschrank ein, und zwar zusammen mit einer Horde Hausspinnen.
Drittens: Er lässt sie eine Weile toben, ersticht sie mit seinem Stilett und wischt das Blut vor dem Schrank auf.
Viertens: Er schlüpft ins Bett und wartet auf die Heimkehr von Mijnheer Poulders, von dem er wusste, dass er nicht zu Hause war.
Fünftens: Er ermordet Mijnheer Poulders im Bett. Das Muster der Einstiche und die Lage von Poulders’ Leiche beweisen eindeutig, dass er im Bett gelegen haben muss.
Sechstens: Der Täter schleift Mevrouw Poulders ins Ehebett, holt die Kleine aus ihrem Bett und zwingt sie, sich auf ein Korbstühlchen zu setzen, das er aus ihrem Zimmer mitgenommen hat.
Siebtens: Möglicherweise kennt die Kleine den Täter, denn ihre Leiche weist keine nennenswerten Spuren von Gewalteinwirkung auf, woraus hervorgeht, dass das Mädchen sich nicht gewehrt hat.
Achtens: Der Täter fordert das kleine Mädchen auf, ihre Eltern mit einem Messer zu stechen, und als sie sich weigert, packt er sie am Handgelenk und zwingt sie dazu. Dabei sind jene Stichwunden entstanden, die eine andere Intensität und ein anderes Muster aufweisen als die anderen und die höchstwahrscheinlich nach Eintreten des Todes zugefügt wurden. Für diesen Hergang spricht auch, dass das rechte Handgelenk der Kleinen Druckstellen aufweist.
Neuntens: Er tötet die Kleine mit einem harten Nackenschlag, führt irgendein Ritual mit Brotkrümeln und Blut auf – wahrscheinlich mit seinem eigenen Blut – und legt die Leiche des Mädchens mit auf der Brust gefalteten Händen ins Bett.
Zehntens: Er schleift die Leiche von Mevrouw Poulders wieder in den Wäscheschrank und wischt die Blutspuren im Flur weg.
Zum Schluss ist noch hinzuzufügen, dass er möglicherweise bereits aufgrund weniger spektakulärer, aber ähnlicher Taten mit dem Gesetz in Konflikt geraten ist, denn er gibt sich große Mühe, die Spuren seiner Spielchen zu beseitigen.«
Deleu schwieg und schaute die Ermittler ernst an.
»Noch Fragen?«, polterte Bosmans triumphierend. Niemand reagierte.
»In Ordnung, dann wollen wir jetzt mal die wichtigsten Elemente zu Papier bringen.«
Bosmans wandte sich um, kramte einen Stift aus der Ablage und ging zum Whiteboard.
»Falscher Stift, Chef!«, höhnte jemand im Saal.
Bosmans knurrte, ging zur
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